Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilhabeleistung. Hörgeräteversorgung. Schutzzweck des § 14 SGB 9. bestandskräftiger Ablehnungsbescheid
Orientierungssatz
1. Aufgrund des Schutzzwecks des § 14 SGB 9 steht die bestandskräftige (Teil-)Ablehnung einer Teilhabeleistung durch einen Leistungsträger seiner Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG zur Gewährung der Leistung nicht entgegen. Die dies grundsätzlich ausschließende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl BSG vom 13.8.1981 - 11 RA 56/80 = SozR 1500 § 75 Nr 38) ist im Anwendungsbereich des § 14 SGB 9 nicht einschlägig (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R = SozR 4-3500 § 54 Nr 6 und SG Oldenburg vom 4.7.2012 - S 81 R 84/11 = juris RdNr 48).
2. Eine Hörhilfe kann als Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden, wenn sie aus beruflichen Gründen erforderlich ist (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 25.11.2010 - L 31 R 37/10 = juris RdNr 37 und BSG vom 21.8.2008 - B 13 R 33/07 R = BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7).
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 18.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2010 wird aufgehoben.
Die Beigeladene wird verpflichtet, ihre Bescheide vom 03.04.2009 und 31.05.2010 zu ändern.
Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin Kosten in Höhe von 5053,00 € zu erstatten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der anderen Beteiligten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung der über den Festbetrag liegenden Kosten ihres digitalen Hörgerätes.
Die 1957 geborene Klägerin leidet seit ihrem 12. Lebensjahr an einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit beidseits und ist auf Hörgeräte angewiesen. Seit 1978 arbeitet sie als Expedientin/Messwartenfahrerin in einem Tanklager in S.
Die Klägerin befand sich Anfang 2009 in HNO-fachärztlicher Behandlung bei Professor Dr. B. Dieser verordnete ihr wegen einer Hörverschlechterung eine neue Versorgung der rechts seit 2004 und links seit 2001 bestehenden Hörhilfen. Mit Schreiben vom 31.03.2009 zeigte der gewählte Hörgeräteakustiker (GEM. Hörakustik) gegenüber der Beigeladenen die beabsichtigte Hörgeräteversorgung an.
Mit Bescheid vom 03.04.2009 erklärte sich die Beigeladene bereit, - unter Berücksichtigung einer gesetzlichen Zuzahlung von 10,00 € pro Hörgerät - für die angezeigte Hörgeräteversorgung eine Kostenübernahme des Festbetrages in Höhe von 1192,80 €.
In der Folge testete die Klägerin bis zum 25.05.2009 Hörgeräte verschiedener Hersteller (Exelia SP der Firma XX, Epoq V Ex-Hörer der Firma XX, Centra HP der Firma S Astral 23 HPL der Firma XX). Mit den von der Klägerin letztlich gewählten Geräten der Firma P in der Ausführung mit weicher Otoplastik erreichte die Klägerin ein Sprachverstehen ohne Störgeräusch von 75 %, mit Störgeräusch von 45 %. Mit den zum Festbetrag erhältlichen Geräten der Firma A. erreichte die Klägerin demgegenüber lediglich ein Sprachverstehen ohne Störgeräusch von 50 % und mit Störgeräusch von 25 %. Die beiden anderen Geräte erreichten Werte von 65 %/35 % (XX) und 60 %/30 % (XX). Am 25.05.2009 schlug der Hörgeräteakustiker mit Verweis auf Kostenvoranschlag und Anpassbericht die Hörgeräte der Firma XX zu einem Gesamtpreis von 6265,80 € vor. Am 29.06.2009 bestätigte der behandelnde HNO-Arzt Professor Dr. B die Zweckmäßigkeit der ausgewählten Geräte.
Die Klägerin beantragte zunächst bei der deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg mit Schreiben vom 12.08.2009, nach Weiterleitung sodann am 28.09.2009 beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die Hörgeräte als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.11.2009 mit der Begründung ab, eine höherwertige Hörhilfe sei für jedwede berufliche Tätigkeit und in allen Lebensbereichen erforderlich. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2010 ab und führte zur Begründung aus, die höherwertige Hörhilfe sei nicht ausschließlich für die Ausübung des Berufs notwendig.
Mit ihrer am 23.03.2010 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht geltend aufgrund erheblicher Störgeräusche an ihrem Arbeitsplatz auf eine höherwertige Hörgeräteversorgung angewiesen zu sein. Sie kommuniziere mit den Kunden des Tanklagers über Wechselsprechanlage, wobei diese auch störende Wind- und Motorengeräusche übertrage. Nur mit dem ausgewählten Hörgeräte und den darin enthaltenen Komponenten sei ein ausreichendes Sprachverstehen auch unter Störgeräuschen möglich.
Die Klägerin beantragte am 26.05.2010 bei der Beigeladenen ebenfalls die Übernahme des Eigenanteils. Mit Schreiben vom 31.05.2010 lehnte dies die Beigeladene ab.
Am 16.06.2010 vereinbarte die Klägerin mit dem Hörgeräteakustiker die ratenweise Zahlung des noch offenen Eigenanteils. Bis Ende 2010 zahlte die Klägerin den Eigenanteil vollständig.
Das Gericht hat mit Beschluss vom 12.08.2010 die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) beigeladen, einen Befundbericht des behandeln...