Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kosten aufgrund eines Frauenhausaufenthalts durch den bisher zuständigen Grundsicherungsträger
Orientierungssatz
1. Nach § 36a SGB 2 ist für den Fall, dass eine Frau in einem Frauenhaus Zuflucht sucht, der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus zu erstatten.
2. Die Erstattungspflicht ist zeitlich nicht begrenzt.
3. Auf den Erstattungsanspruch ist die materielle Ausschlussfrist des § 111 SGB 10 anwendbar. Die konkrete Bezifferung des Erstattungsanspruchs ist nicht zwingende Voraussetzung einer rechtsgültigen Geltendmachung.
4. Ein kurzfristiger zwischenzeitlicher tatsächlicher Aufenthalt an einem anderen Ort ist nicht geeignet, die Erstattungspflicht der Herkunftskommune entfallen zu lassen.
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.683,01 EUR zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird endgültig auf 21.683,01 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger zur Erstattung von Leistungen aufgrund eines Frauenhausaufenthalts von Leistungsberechtigten verpflichtet ist.
Die 1974 geborene C. C., und ihre 1996 sowie 2002 geborenen Kinder zogen am 14.06.2008 von C-Stadt in das im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegene D-Stadt. Am 24.06.2008 stellte Frau C. einen Antrag auf Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 27.06.2008 bewilligte der Beklagte SGB II-Leistungen. Ab dem 15.07.2008 mietete Frau C. eine Wohnung in D-Stadt und der Beklagte änderte den Bewilligungsbescheid mit Änderungsbescheid vom 22.07.2008. Am 29.09.2008 teilte das Frauenhaus E-Stadt mit, dass die Zeugin dorthin geflüchtet sei und bat um Einstellung der Leistungen. Daraufhin stellte der Beklagte die Leistungen mit Bescheid vom 02.10.2008 ab dem 29.09.2008 ein.
Der Kläger teilte dem Beklagten am 16.10.2008 mit, dass die Zeugin und ihre Kinder seit dem 30.09.2008 im Zuständigkeitsbereich des Klägers in E-Stadt wohnten und Leistungen nach dem SGB II bezögen (vgl. Bewilligungsbescheid vom 16.10.2008; geändert durch Bescheid vom 27.10.2008; geändert durch Bescheid vom 23.12.2008; geändert durch Bescheid vom 27.01.2009). Er machte mit Schreiben vom 16.10.2008 (eingegangen beim Beklagten am 22.10.2008) einen Kostenersatz nach § 36a SGB II für die Zeit ab dem 30.09.2008 geltend und bat um Anerkennung des Kostenerstattungsantrags. Der Beklagte lehnte die Erstattung ab, da er keinen Grund erkennen könne, warum die Zeugin in ein Frauenhaus umgezogen sei. Der Kläger übersandte ein Schreiben des Frauenhauses vom 25.02.2010, wonach der getrennt lebende Ehemann von Frau C. und dessen Familie psychische und körperliche Gewalt gegen Frau C. ausübten und sie daher, obwohl sie nicht mit ihm in einem Haushalt lebte, den Schutz der Einrichtung benötigte und die eigene Wohnung in D-Stadt aufgeben musste. Am 05.01.2008 zog der Sohn von Frau C. aus dem Frauenhaus aus. Mit Bescheid vom 05.03.2009 bewilligte der Kläger Leistungen ab März 2009, mit Bescheid vom 01.09.2009 Leistungen ab September 2009 (geändert durch Bescheid vom 28.12.2009) sowie mit Bescheid vom 25.02.2010 für März 2010, mit Bescheid vom 22.04.2010 von April bis Oktober 2010 (geändert durch Bescheid vom 19.07.2010); mit Bescheid vom 26.08.2010 ab September 2010. Mit Bescheid vom 08.11.2010 stellte der Kläger die Leistungen aufgrund eines Wegzugs der Zeugin aus dem Zuständigkeitsbereich ein. Dazu bewilligte der Kläger mit Bescheid vom 18.11.2010 noch Umzugskosten in Höhe von 278 Euro sowie Benzingeld mit Bescheid vom 14.12.2010 in Höhe von 114,01 €.
Vom 24.03.2010 bis 15.07.2010 unterzog sich Frau C. einer Reha-Maßnahme auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung. Der Kläger zahlte in dieser Zeit weiterhin den Tagessatz für eine Person zur Freihaltung.
Am 21.09.2010 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Der Kläger trägt vor, der Beklagte sei zur Erstattung verpflichtet. Frau C. habe Zuflucht gesucht. Eine genaue Prüfung der Gründe der Zufluchtnahme müsse nicht erfolgen.
Der Kläger beantragt,
der Beklagte wird verurteilt, 21.683,01 Euro an den Kläger zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, der Erstattungsanspruch für Leistungen bis zum 04.10.2009 sei verfristet, da sie nicht binnen eines Jahres nach Ablauf des letzten Tages, für den Leistungen erbracht wurden, geltend gemacht wurden. Erst mit Klageerhebung am 04.10.2010 seien die Ansprüche geltend gemacht worden. Der Aufenthalt beim Beklagten sei zudem nicht durch eine Flucht beendet worden, da sich Frau C. nicht mehr in einer Gefährdungssituation befunden habe und der Anwendungsbereich des § 36a SGB II sei daher nicht eröffnet. Zudem habe Frau C. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten keinen gewöhnlichen Aufenthalt genommen. Sie habe nur knapp drei Monate im Zu...