Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Gesellschafter-Geschäftsführer. Vereinbarung eines umfassenden Vetorechts im Anstellungsvertrag. Regelung im Gesellschaftsvertrag, dass keine Änderung oder Kündigung des Anstellungsvertrages gegen seinen Willen möglich ist. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft ist grundsätzlich die Vereinbarung eines Vetorechts oder einer Sperrminorität in einem Anstellungsvertrag nicht ausreichend, um die Geschicke der Gesellschaft entscheidend beeinflussen zu können, sondern es kommt regelmäßig ausschließlich auf den Gesellschaftsvertrag an.

2. Ausnahmsweise kann ein Vetorecht oder eine Sperrminorität aus einem Anstellungsvertrag ausreichen, wenn die sich aus ihm ergebende Rechtsposition und mithin die Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen, identisch ist, weil der Anstellungsvertrag aufgrund einer Regelung im Gesellschaftsvertrag nicht ohne den Willen des Gesellschafter-Geschäftsführers änder- oder kündbar ist.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagte vom 16. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2018 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 40.162,84 € aufgrund einer Betriebsprüfung bei der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 2012 bis zum 31. Dezember 2015, insbesondere darüber, ob die beigeladenen Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin bei dieses sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbständig tätig waren.

Die Klägerin betreibt ein Logistik-Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Die Beigeladenen zu 1. und zu 2. sind Gesellschafter-Geschäftführer der Klägerin.

Der Gesellschaftsvertrag vom 29. November 2011 sieht unter anderem unter VI. Nr. 7 folgende Regelung vor:

„Zuständig für die Bestellung und Abberufung eines GF sowie den Abschluss, die Änderung und die Beendigung eines Anstellungsvertrags mit ihm ist ausschließlich die Gesellschafterversammlung, deren Beschlüsse insofern einer Mehrheit von 75% der anwesenden Stimmen bedürfen. Der betroffene Gesellschafter hat hierbei Stimmrecht, sofern es nicht um seine Abberufung als Gesellschafter aus wichtigem Grund geht.“

In dem Anstellungsvertrag der Beigeladenen zu 1. und zu 2. ist unter § 2 Nr. 2 S. 2 folgende Klausel enthalten:

„Der Geschäftsführer verfügt bei allen geschäftlichen Aktivitäten über ein umfangreiches Vetorecht.“

Am Kapital der Klägerin war der Beigeladene zu 1. mit 33,33 % beteiligt, ab dem 17. Dezember 2013 mit 37,5 %. Der Beigeladene zu 2. war zunächst ebenfalls mit 33,33 % beteiligt, ab dem 1. August 2012 mit 50 % und ab dem 17. Dezember 2013 mit 62,5 %.

In der Zeit vom 20. Juni 2016 bis zum 14. Juli 2017 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Februar 2012 bis zum 31. Dezember 2015 durch. Als Ergebnis der Betriebsprüfung sah sie die Beigeladenen zu 1. und zu 2. mit Bescheid vom 16. August 2017 als abhängig Beschäftigte der Klägerin an. Es seien daher für diese beiden Beschäftigungsverhältnisse Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 40.162,84 € abzuführen. Die Entscheidung begründete die Beklagte vor allem damit, dass der Beigeladene zu 1. durchgehend, der Beigeladene zu 2. jedenfalls bis 17. Dezember 2013 nicht Mehrheitsgesellschafter der Klägerin gewesen seien. Sie hätten auch nicht über eine qualifizierte Sperrminorität verfügt. Es hätte daher für die Beigeladenen keine Möglichkeit bestanden, die Geschicke der Klägerin maßgeblich zu bestimmen, weil sie Entscheidungen der Gesellschafterversammlung nicht hätten verhindern können.

Hiergegen legte die Klägerin am 30. August 2017 Widerspruch ein, den die Beklagte unter weiterer Ausführung der Gründe ihres Ausgangsbescheids mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2018 zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin am 8. Februar 2018 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Die Klägerin meint, zwar gebe der Gesellschaftsvertrag den Beigeladenen zu 1. und (zeitweise) dem Beigeladenen zu 2. nicht die Rechtsmacht, Entscheidungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Diese Rechtsposition ergebe sich aber aus dem Anstellungsvertrag der Beigeladenen zu 1. und zu 2., konkret der Vereinbarung eines „umfassenden Vetorechts“ in § 2 Nr. 2 S. 2. Zwar komme es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich nur auf den Gesellschaftsvertrag an. Im vorliegenden Fall sei aber zu beachten, dass der Anstellungsvertrag „kündigungs- und änderungsfest“ sei. Dies ergebe sich aus der Regelung VI. Nr. 7 des Gesellschaftsvertrags, denn der Anstellungsvertrag könne nur mit einer Stimmenmehrheit von 75 % geändert werden. Für dieses Quorum sei aber jeweils die Zustimmung auch des be...

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