Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Gesellschafter-Geschäftsführer. Vereinbarung eines Ancietätenrechts im Gesellschaftsvertrag. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung. Vertrauensschutz

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an eine die Selbständigkeit vermittelnde Rechtsmacht des mit 50 % am Stammkapital beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers, wenn aufgrund einer von § 47 Abs 1 GmbHG abweichenden Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag bei Stimmgleichheit abstrakt der ältere Gesellschafter eine zusätzliche Stimme erhält (Ancietätenrecht) und konkret der andere (ältere) Gesellschafter ebenfalls mit 50 % am Kapital beteiligt ist.

 

Orientierungssatz

1. Anschluss an LSG Darmstadt vom 21.3.2019 - L 8 KR 142/17 = juris RdNr 24.

2. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände entstehen (vgl BVerfG vom 5.11.2015 - 1 BvR 1667/15 und LSG Celle-Bremen vom 20.12.2018 - L 12 BA 23/18 B ER = juris RdNr 31).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) über die Frage, ob dem beigeladenen Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin, welcher über 50 % Kapitalanteil verfügt, deshalb abhängig beschäftigt ist, weil zugleich zugunsten des anderen Gesellschafters, der ebenfalls über 50 % Kapitalanteil verfügt, ein Ancietätenrecht eingeräumt wurde, welches diesem bei Stimmgleichheit eine zusätzliche Stimme und damit die Mehrheit der Stimmen in der Gesellschafterversammlung einräumt, und deshalb für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.12.2015 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 29.129,43 € nachzuerleben sind.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform der GmbH ein Handelsunternehmen zum Vertrieb insbesondere von Merchandise-, Fan- und Funartikeln. Seit dem 10.04.2012 halten die Gesellschafter Herr A und Herr B (Beigeladener Ziff. 1) jeweils einen Anteil am Stammkapital in Höhe von 50 v. H. Der Beigeladene Ziff. 1 fungiert als Geschäftsführer der Beklagten, Herr A besitzt Einzelprokura. Auf Grund eines Gesellschafterbeschlusses vom 10.04.2012, welcher § 9 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages änderte, werden Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst, bei Stimmgleichheit entscheidet die Stimme des ältesten in der Versammlung vertretenen Gesellschafters. Gemäß § 9 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrages ist - sinngemäß - für folgende Beschlüsse eine Mehrheit von 60 v. H. der abgegebenen Stimmen erforderlich: Gewinnausschüttungen, Einräumung von Sonderrechten für einzelne Gesellschafter, Bestellung, Entlassung und Abberufung von Geschäftsführern, Abschluss, Änderung und Beendigung von Geschäftsführeranstellungsverträgen, Erteilung von Alleinvertretungsbefugnissen, Entscheidungen über erfolgsabhängige Vergütungen und Nebentätigkeiten, Einziehung und Abtretung von Geschäftsanteilen, sämtliche Weitere, in § 11 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages aufgeführten Maßnahmen der Geschäftsführung, Bestellung des Abschlussprüfers, Freistellungen vom Wettbewerbsverbot.

Die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 wurde zunächst als abhängige Beschäftigung qualifiziert, bis zum 31.12.2013 wurden von der Klägerin bei Annahme einer geringfügigen Beschäftigung Sozialversicherungsbeiträge zur Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See Minijobzentrale entrichtet. Ab dem 01.01.2014 führte die Klägerin keine Beiträge mehr ab. Nach den Feststellungen der Beklagten erhielt der Beigeladene Ziff. 1 im Jahr 2014 ein Entgelt in Höhe von 32.799,08 € und im Jahr 2015 ein Entgelt in Höhe von 40.299,08 €.

Anlässlich einer Betriebsprüfung kam die Antragsgegnerin zunächst zu dem Ergebnis, das dem Beigeladenen Ziff. 1 einem Haftungs- und Nachforderungsbescheiden des Finanzamtes C vom 01.04.2014 entsprechend für den Zeitraum 2009 bis 2012 entsprechend von der Klägerin ein geldwerter Vorteil gegenüber der Klägerin durch private Nutzung eines Firmen-PKW gewährt worden sei. Hierauf aufbauend forderte die Beklagte nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 15.12.2016 einen Betrag von 13.589,07 € (einschließlich 3.045,00 € Säumniszuschläge) nach und gab als Prüfzeitraum die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.12.2015 an. Aus den Anlagen zum Bescheid ergab sich jedoch abweichend vom angegebenen Prüfzeitraum, dass die Nachforderung ausschließlich für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2012 erhoben wurde.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Die Beklagte hörte die Klägerin sodann dazu an, dass beabsichtigt sei, für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.12.2015 eine weitere Nachforderung von 31.118,29 € zu erheben, denn es habe sich herausgestellt, dass der Beigeladene Ziff. 1 in dieser Zeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden sei.

Mit weiterem Bescheid vom 23.07.2018, in welchem nunmehr kein Prüfzeitraum angegeben wurde, s...

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