Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Aufgabe der "Kopf und Seele"- Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Die Möglichkeit, aufgrund einer von § 47 Abs 1 GmbHG abweichenden Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und des eigenen Stimmanteils in enumerativ genannten Teilbereichen verhindern zu können, vermittelt nicht die für eine Selbständigkeit erforderliche umfassende Rechtsmacht. Erforderlich ist, dass ausnahmslos alle nicht genehmen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung verhindert werden können.
2. Dass der Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer neben dem Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht gegen seinen Willen als alleinvertretungsbefugter Geschäftsführer abberufen werden kann, bedingt nicht die Annahme einer selbständigen Tätigkeit.
3. Die Aufgabe der "Kopf-und-Seele"-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vermittelt auch für die Zeit davor keinen Vertrauensschutz (Anschluss an LSG Stuttgart vom 22.12.2017 - L 10 R 1637/17).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene Ziff. 1) aufgrund seiner Tätigkeit als Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin abhängig beschäftigt ist und deshalb der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt, woraus sich eine von der Beklagten erhobene Nachforderung von 63.188,08 € für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 ergeben würde.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die unter der Registernummer HRB 230971 in das Handelsregister des Amtsgerichts Mannheim eingetragen ist. Sitz des Unternehmens ist X, Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb einer Kfz-Werkstatt, einer Tankstelle, eines Autohandels sowie einer Autovermietung. Gemäß § 9 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags (GV) vom 29.12.1986 ist die Gesellschafterversammlung oberstes Organ der Gesellschaft, in der die Beschlüsse der Gesellschafter gefasst werden. Je 500.- DM Stammeinlage gewähren eine Stimme in der Gesellschafterversammlung (§ 12 Abs. 1 GV). Das Stammkapital der Gesellschaft betrug zunächst 100.000,00 € (§ 5 Abs. 1 GV), wobei 55.000,00 € (Anteil 55 %, 110 Stimmen) auf Herrn A, 35.000,00 € (Anteil 35 %, 70 Stimmen) auf Herrn B (Beigeladener Ziff. 1) und 10.000,00 € (10 % Anteil, 20 Stimmen) auf Frau C entfielen (§ 5 Abs. 2 GV). Beschlussfähigkeit besteht bei Anwesenheit von 75 % des Stammkapitals (§ 11 Abs. 1 S 1 GV), fehlt es an dieser Voraussetzung, ist mit einer Frist von zwei Wochen innerhalb von vier Wochen eine neue Gesellschafterversammlung einzuberufen, die dann immer beschlussfähig ist (§ 11 Abs. 1 S. 2 GV). Die Beschlüsse der Gesellschaft werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit der Gesellschaftsvertrag oder das Gesetz nicht eine andere Mehrheit vorschreiben (§ 12 Abs. 2 GV). Für konkret bezeichnete Rechtshandlungen, die über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehen, ist eine Mehrheit von ¾ erforderlich (§ 12 Abs. 4 GV). Die Geschäftsführung wird von den jeweils von der Beschränkung nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreiten Gesellschaftern A und dem Beigel. Ziff. 1 ausgeführt (§ 13 Abs. 5 GV). Diese können nur aus wichtigem Grund abberufen werden (§ 13 Abs. 2 GV), Umfang der Geschäftsführung bestimmen sich nach dem Gesetz, dem Gesellschaftsvertrag und den jeweiligen Anstellungsverträgen, wobei Änderungen der Anstellungsverträge einstimmig durch die Gesellschafterversammlung zu erfolgen haben (§ 13 Abs. 3 GV). Nach dem Geschäftsführungsvertrag vom 28.12.19868 des Beigeladenen Ziff. 1 verantwortet dieser die Aufgabenbereiche „Tankstelle, Autowäsche, Verkauf, kaufmännische Leitung insbesondere Buchhaltung und Rechnungswesen“, während A nach dem weiteren Geschäftsführungsvertrag vom 28.12.1986 die eigenverantwortliche Leitung der Klägerin obliegt, wobei er ausdrücklich Dienstvorgesetzter aller Angestellten und Arbeiter mit Ausnahme des Beigel. Ziff. 1 ist. Beide Geschäftsführer sind nach § 6 Abs. 1 S. 1 der Geschäftsführungsverträge verpflichtet, die Geschäfte nach den durch Gesellschafterbeschluss schriftlich festgelegten Weisungen und entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen zu führen. Die Geschäftsführer bedürfen jeweils für näher definierte „wichtige Geschäfte“ die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, der Genehmigung der Gesellschafterversammlung (§ 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 der Geschäftsführungsverträge).
Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 04.12.1992 erfolgte die Erhöhung des Stammkapitals auf 200.000,00 €, wobei die bisherigen Einlagen jeweils verdoppelt wurden, so dass nunmehr 110.000,00 € (Anteil 55 %, 220 Stimmen) auf Herrn A, 70.000,00 € (Anteil 35 %, 140 Stimmen) auf...