Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. sozialgerichtliches Verfahren - Amtsermittlungsgrundsatz - keine Anwendung einer Ausschlussfrist aus dem vorangegangenen Prüfverfahren des Medizinischen Dienstes
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 der zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen Vereinbarung zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V (PrüfvV - juris: PrüfvVbg) geregelte Ausschlussfrist findet keine Anwendung im sozialgerichtlichen Verfahren (entgegen BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 77). Für einen Ausschluss des Amtsermittlungsgrundsatz fehlt es - jedenfalls bis zum Inkrafttreten des MDK-Reformgesetzes (juris: MDKRefG) zum 1.1.2020 - an einer hinreichend klaren gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
2. Der Medizinische Dienst hat die für die Prüfung erforderlichen Unterlagen bei dessen Abforderung konkret zu benennen und bei Anhaltspunkten für das Erfordernis weiterer prüfungsrelevanter Unterlagen diese nachzufordern.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 269,51 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent ab dem 1. März 2016 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 269,51 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung und insbesondere über die Anwendbarkeit einer Präklusionsregelung nach der zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der dem Spitzenverband der Krankenkassen abgeschlossenen Prüfverfahrensvereinbarung.
Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses. Dort befand sich in der Zeit vom 5. bis 11. Juni 2015 der bei der Beklagten versicherte O. (nachfolgend: Versicherter) in stationärer Behandlung.
Hierfür rechnete die Klägerin unter dem 7. Juli 2015 eine Leistung nach DRG F75D mit einer Hauptdiagnose "T82.4" (OPS Kode 8-853.3 - Hämofiltration intermittierend, Antikoagulation mit Heparin oder ohne Antikoagulation) in Höhe von insgesamt 3.228,81 Euro ab.
Die Beklagte beglich die Rechnung der Klägerin zunächst in voller Höhe. Sie beauftragte sodann den Medizinischen Dienst (MD) mit der Überprüfung des Behandlungsfalles. In diesem Zusammenhang wendete sich die Beklagte an die Klägerin mit Schreiben vom 22. Juli 2015 wie folgt:
" die Krankenkasse beauftragte den MDK mit der Begutachtung entsprechend § 275 SGB V. Dabei wurde(n) folgende Frage(n) gestellt:
Bestand die Notwendigkeit der vollstationären KH - Behandlung nach § 39 SGB V für die gesamte Dauer vom bis ) Die Patientendaten lassen vermuten, dass die Behandlung im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 Abs. 1 SGB V durch Straffung der Organisation hätte verkürzt werden können. Grund der Annahme: Straffung Ablauf
Ist die DRG korrekt?
Die Hauptdiagnose, Nebendiagnose und Prozeduren sind im Zusammenhang unplausibel.
Wir bitten um Übermittlung folgender zu Beantwortung der Frage(n) relevanter Unterlagen:
Krankenhausbericht(e)
Abzüge aus der Krankenakte über den stationären Aufenthalt (Pflegebericht Fieberkurve)
Ärztlicher Verlaufsbericht
Laborbericht(e)
Operationsbericht (Interventionsberichte)
Sollten aus Ihrer Sicht zusätzliche abrechnungs- und/oder verweildauerbegründende Unterlagen für die Begutachtung sinnvoll sein, dann bitten wir um ergänzende Vorlage.
Sollte innerhalb von 4 Wochen kein bzw. ein unvollständiger Befundeingang zu verzeichnen sein, wird der Auftrag an die Krankenkasse unerledigt zurückgegeben ".
In seiner Stellungnahme vom 4. Januar 2016 kam der MD zu dem Ergebnis, dass die Aufnahme des Versicherten wegen einer Dislokation des Vorhofkatheders bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz erfolgte. Die Hauptdiagnose "T82.4" (Mechanische Komplikation durch Gefäßkatheder bei Dialyse) sei korrekt. Die Prozedur "8-853.3" [Hämofiltration: intermittierend, Antikoagulation mit Heparin oder ohne Antikoagulation] könne jedoch nicht abgerechnet werden, da für den 5. Juni 2015 kein Dialyseprotokoll vorgelegen habe. Seine Beurteilung habe er unter anderem auf den Krankenhausentlassungsbericht, die Fieberkurve, die Laborberichte, den Operationsbericht und den Pflegebericht gestützt.
Daraufhin forderte die Beklagte von der Klägerin einen Betrag in Höhe von 269,51 Euro zurück. Diesen Betrag rechnete die Beklagte am mit anderen unstreitigen Vergütungsforderungen der Klägerin für die Behandlung anderer Versicherter auf.
Dem widersprach die Klägerin mit Schreiben vom 21. Januar 2016. Sie geht davon aus, dass der Gutachter bzw. die Gutachterin des MD nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen korrekt ausgewertet habe. Sie ist der Auffassung, dass zu der fraglichen Therapie alle Dokumentationsunterlagen vorgelegen habe. Die Klägerin bat um erneute Prüfung.
Mit Schreiben vom 17. Februar 2016 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) eindeutige Regelungen über die Möglichkeiten einer Korrektur oder Ergänzu...