Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitgeber für die Vergangenheit nur bei Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft
Orientierungssatz
Es unterliegt ernstlichen Zweifeln, ob der Sozialversicherungsträger berechtigt ist, im Hinblick auf einen etwaigen equal pay Anspruch nach §§ 10 Abs. 4, 9 Nr. 2 AÜG Sozialversicherungsbeiträge für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum in festgesetzter Höhe nach zu erheben und Säumniszuschläge festzusetzen, denn ein solcher vergangenheitsbezogener Anspruch würde mindestens voraussetzen, dass die Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft auch für den Betriebsprüfungszeitraum angenommen werden kann.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 14.10.2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.09.2011 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 44.043,71 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Anfechtungsrechtsbehelfs gegen einen auf § 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) gestützten Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert und Säumniszuschläge erhoben hat.
Die Antragstellerin ist im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig und war in dem og. Betriebsprüfungszeitraum im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis gemäß § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG).
In dem Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 wandte die Antragstellerin bei der Arbeitsentgeltberechnung für die beschäftigen Leiharbeitnehmer die zwischen dem Arbeitgeberverband B (B) und der Tarifgemeinschaft D (D) vereinbarten Tarifverträge an und führte auf Grundlage der hiernach ermittelten Arbeitsentgelte Gesamtsozialversicherungsbeiträge ab.
Aufgrund einer im September 2009 durchgeführten Betriebsprüfung forderte die Antragsgegnerin nach zuvor mündlich erfolgter Anhörung mit Bescheid vom 26.09.2011 für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge (§ 24 Abs. 1 SGB IV) in Höhe von insgesamt 176.174,85 EUR nach. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe am 14.12.2010 in den unter dem Az. 1 ABR 19/10 geführten Verfahren festgestellt, dass die Mitgliedsgewerkschaften der D nach ihrem satzungsgemäßen Geltungsbereich nicht die Tariffähigkeit für die gesamte Zeitarbeitsbranche vermittelten. Durch die Bestätigung der Tarifunfähigkeit der D durch das BAG seien die unter ihrer Mitwirkung geschlossenen Tarifverträge unwirksam. Dieses habe die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 4 AÜG zur Folge. Arbeitnehmer, die auf Basis eines D-Tarifvertrages beschäftigt gewesen seien oder noch sind, könnten von dem Verleiher den Lohn beanspruchen, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Beitragsbemessungsgrundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge sei damit der Arbeitsentgeltanspruch eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers in dem Entleihbetrieb nach § 10 Abs. 4 AÜG.
In den Arbeitsverträgen der von der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer werde für den Zeitraum von Dezember 2005 bis Juni 2011 auf den Manteltarifvertrag (MTV), Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV), Entgelttarifvertrag/West (ETV) und Entgelttarifvertrag/Ost (ETV) zwischen der Tarifgemeinschaft D (D) und dem Arbeitgeberverband B (B) verwiesen. Auf Basis der dort vorgesehenen Vergütung seien die Beiträge für die beschäftigten Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise zur Sozialversicherung abgegeben worden. Aufgrund der durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 14.12.2010 festgestellten Tarifunfähigkeit der D seien Beiträge zur Sozialversicherung auf Grundlage der Differenz zwischen dem von der Antragstellerin gemeldeten und dem Beitragsanspruch zugrunde gelegten Arbeitsentgelt einerseits und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers in dem jeweiligen Entleihbetrieb und Überlassungszeitraum für jeden Leiharbeitnehmer individuell nachzuerheben.
Da die Höhe des individuellen Arbeitsentgeltes nur mit unverhältnismäßig großem Verwaltungsaufwand ermittelbar sei, dürfe die Antragsgegnerin gemäß § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV die Arbeitsentgelte schätzen. Nach ihrer Kenntnis betrage die durchschnittliche Arbeitsentgeltdifferenz zwischen Leiharbeitnehmern vergleichbarer Stammarbeitnehmer in Entleihbetrieben 24%. Dieser Prozentwert gründe sich im Wesentlichen auf einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Im vorliegenden Verfahren werde allerdings lediglich von einer durchschnittlichen Differenz zwischen den gezahlten Arbeitsentgelten und den Arbeitsentgeltansprüchen der Stammarbeitnehmer in Entleihbetrieben von 12% ausgegangen. Dabei seien Zeiten berücksichtigt worden, in denen kein equal pay Anspruch bestanden habe bzw. übertarifliche Leistungen gezahlt worden seien. Damit habe sich der Entgeltabstand zum equal...