Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. stationäre Unterbringung. Heranziehung zu einem Kostenbeitrag. Einsatz von Einkommen unter der Einkommensgrenze. Ermessensausübung

 

Orientierungssatz

1. Sofern sich Gesichtspunkte aufdrängen, die ein Absehen vom (vollständigen) Einkommenseinsatz denkbar erscheinen lassen, ist es dem Sozialhilfeträger verwehrt, sich im Rahmen des gebundenen Ermessens nach § 88 Abs 1 S 2 SGB 12 allein auf den Nachranggrundsatz zu berufen.

2. Dies gilt, obwohl der Sozialhilfeträger in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel verlangen "soll". Denn wenn auch der Sozialhilfeträger damit im Regelfall verpflichtet ist, über die häusliche Ersparnis hinaus in weitergehendem Umfang das Einkommen zur Kostenbeteiligung heranzuziehen, kann er dennoch in begründeten Ausnahmefällen hiervon absehen.

 

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2015 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit dem der Beklagte die ihr wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles gewährte Rente als Kostenbeitrag zur Finanzierung ihres Wohnheimplatzes gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) beansprucht.

Bei der im Jahr 1990 geborenen Klägerin wurde eine Epilepsie mit komplex-fokalen Anfällen und eine Intelligenzminderung diagnostiziert. Ihr wurde ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen “B„, “G„ und “H„ zuerkannt.

Die Klägerin arbeitet in der Werkstatt für behinderte Menschen und lebt im angeschlossenen Wohnheim, L.-Straße, A.

Der Beklagte trägt seit dem 1. November 2012 die Kosten der Heimunterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX, hierzu sind Bescheide am 13. November 2012 und am 28. November 2013 ergangen. Die ungedeckten Heimkosten betragen monatlich ca. 1.700 EUR.

Die Klägerin erlitt am 25. August 2011 einen Arbeitsunfall. Sie erhält ausweislich eines Bescheides der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Bezirksverwaltung Dresden, vom 12. Januar 2015 ab dem 20. Oktober 2014 wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalles eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % in Höhe von 288,52 € monatlich. Als Folgen des Arbeitsunfalls ausgewiesen sind:

Bewegungseinschränkung bei der Beugung und Streckung des rechten Ellenbogengelenkes, Einschränkung der Unterarmdrehung auswärts, Muskelminderung des rechten Armes und dadurch verursachte Kraftminderung des rechten Armes mit Einschränkung der Funktionalität sowie röntgenologisch sichtbare Veränderungen (Arthrose) im rechten Ellenbogengelenk nach operativ versorgtem Luxationstrümmerbruch des Ellenbogengelenkes rechts und bereits erfolgter Metallentfernung.

Die Rente wurde ausweislich des Bescheides zum Teil als Nachzahlung, die laufende Rente ab dem 31. Januar 2015 jeweils zum Monatsende überwiesen.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2015 beanspruchte der Beklagte das Einkommen aus der Rente in Höhe von 288,52 € monatlich ab dem 20. Oktober 2014 als Kostenbeitrag nach § 19 Abs. 3 i.V.m. § 92 Abs. 1 SGB XII.

Gegen diesen Bescheid legte die gesetzliche Vertreterin der Klägerin am 23. Januar 2015 Widerspruch ein, da die Leistungen zum Ausgleich der Folgen eines Arbeitsunfalles benötigt würden, um die Teilhabe der Klägerin nicht noch mehr einzuschränken.

Der Widerspruch wurde vom Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 20. März 2015 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt:

“Sozialhilfe wird demnach nur gewährt, soweit der sozialhilferechtliche Bedarf nicht durch zumutbare Eigenleistungen gedeckt werden kann.

Gemäß § 88 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 SGB XII soll in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel von Personen verlangt werden, die voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Einrichtung bedürfen, solange sie nicht einen anderen überwiegend unterhalten.

§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII stellt die Entscheidung des WG über die Heranziehung der WF in dessen pflichtgemäßes Ermessen. Das Heranziehen der WF ist geeignet, dem Nachrangprinzip des § 2 SGB XII zu entsprechen.

Durch den Bescheid des WG vom 16.01.2015 wird die WF verpflichtet, für den Teil der Kosten der Eingliederungshilfe aufzukommen, für den sonst Sozialhilfe zu leisten wäre.

Das Ermessen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit ist aufgrund der Verpflichtung der WF eingeschränkt, sich selbst zu helfen oder sich von anderen helfen zu lassen, bevor die Sozialhilfe einsetzt.„

Am 13. April 2015 erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage. Er meint, dass die Unfallrente nicht als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen sei und dass die Beklagte es an der notwendigen Ermessensausübung habe fehlen lassen.

Die Klägerin beantragt,

der Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2015 wird aufgehoben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage ab...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?