Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Aufenthalt in Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung. Unterbringung für 2 Wochen in Jugendarrestanstalt im Rahmen der Zuchtmittel gem § 16 JGG. Abgrenzung von der Jugendstrafe
Orientierungssatz
Jugendarrest gem § 16 JGG ist keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung iS von § 7 Abs 4 S 2 SGB 2.
Tenor
I. Der Bescheid des Beklagten vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob es sich bei einem Dauerarrest gem. § 16 Jugendgerichtsgesetz (JGG) um einen richterlich anordneten Freiheitsentzug handelt, welcher den Beklagte berechtigt, dem Kläger für die Dauer des Jugendarrest die Leistungen gem. § 7 Abs. 4 S. 2 Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) vollständig aufzuheben und zurück zu verlangen.
Der Kläger wurde 1993 geboren. Mit Datum vom 24.03.2011 beantragte er erstmals selbst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Beklagten. Ferner beantragte er, dass es ihm ermöglicht wird, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Seit dem 28.03.2011 bewohnt der Kläger eine eigene Einraumwohnung in H. Diese ist ca. 28,29 m² groß. Der monatliche Mietzins beträgt 114,00 EUR. Die Vorauszahlung auf die kalten Betriebskosten beträgt 37,00 EUR (21,00 EUR Betriebskosten + 16,00 EUR Kaltwasser). Für Heizung und Warmwasser sind monatlich 26,00 EUR zu zahlen.
Mit Bescheid vom 16.02.2010 wurde durch das Landratsamt B. - Sozialamt - beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) 80 wegen einer seelischen Krankheit festgestellt.
Durch den Beklagten wurde bezüglich des Klägers ein "Härtefall U25" anerkannt und ihm wurden mit Bewilligungsbescheid vom 31.03.2011 für den Zeitraum vom 28.03.2011 bis 29.02.2012 erstmals Leistungen nach dem SGB II unter Anerkennung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft bewilligt. Für den Monat März 2011 wurden anteilig Leistungen ab Antragstellung in Höhe von 71,47 EUR bewilligt. Ab April 2011 wurden dem Kläger monatlich Leistungen in Höhe von 536,00 EUR bewilligt, die sich aus den anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 177,00 EUR und dem maßgeblichen gesetzlichen Regelbedarf in Höhe von 359,00 EUR zusammensetzten.
Per Email teilte die Mutter des Klägers, A. S., dem Beklagten am 14.02.2012 mit, dass sich ihr Sohn auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts H. im Zeitraum vom 13.02.2012 bis 27.02.2012 im Arrest befindet, da er gegen Auflagen verstoßen habe.
Mit Änderungsbescheid vom 12.03.2012 hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 31.03.2011 für die Zeit vom 13.02.2012 bis 27.02.2012 vollständig in Höhe von 293,87 EUR auf. Zur Begründung gab der Beklagte an, dass der Kläger gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II für den Zeitraum seines Arrestes vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei.
Mit Schreiben vom 28.03.2012 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.03.2012 ein. Der Kläger machte geltend, dass es sich bei dem gegen ihn verhängten Jugendarrest um ein Zuchtmittel handele und nicht um eine richterliche Freiheitsentziehung. Zur Begründung berief er sich auf das Urteil des Sozialgerichts (SG) Gießen vom 01.03.2010 - S 29 AS 1053/09.
Mit Bescheid vom 20.11.2012 erklärte der Beklagte, dass die mit Bescheid vom 12.03.2012 geltend gemachte Forderung in Höhe von 293,87 EUR gegen den Anspruch auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgerechnet wird.
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.03.2012 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013 (W 1165/12) als unbegründet zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid verblieb der Beklagte bei seiner Rechtsauffassung, wonach im Falle der Verbüßung eines Dauerarrest nach § 16 JGG ein Fall des Leistungsausschlusses gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II vorläge. Vom Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II werde generalisierend jede Vollzugsform erfasst und damit auch der Dauerarrest. Der Dauerarrest werde durch einen Richter ausgesprochen und sei selbstverständlich ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Person. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II stelle nur auf die Wirkung "Freiheitsentziehung" ab, nicht jedoch auf die rechtliche Grundlage.
Gegen den Bescheid des Beklagten vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 erhob der Kläger am 11.03.2013 Klage beim Sozialgericht Dresden. Zur Begründung führte er unter Berufung auf das Urteil des SG Gießen - S 29 AS 1053/09 an, dass es sich bei Jugendarrest nach § 16 JGG nicht um eine Haftstrafe, sondern um ein Zuchtmittel handele und die Leistungen deshalb zu Unrecht von ihm zurückgefordert werden. Während der Dauer des Arrestes habe zudem das Mietverhältnis für die von ihm angemietete Wohnung fortbestanden. Eine Leistungskürzung stehe in keinem Verhältnis zum Dauerarrest und stelle eine außerordentlich hohe Bürde dar.
Der Kläger...