Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnungsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage der Krankenkasse gegen die Kassenärztliche Vereinigung. voraussichtlicher Ablauf der Ausschlussfrist. Prüfanspruch der Krankenkasse auch bei Honorarberichtigung aus Teilen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung. Abrechnung des Chroniker-Zuschlags. Arzt-Patienten-Kontakt
Orientierungssatz
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage der Krankenkasse gegen die Kassenärztliche Vereinigung auf Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit vertragsärztlicher Abrechnungen entfällt nicht deshalb, weil bis zur erneuten Entscheidung über den Antrag die Ausschlussfrist von vier Jahren ab der Bekanntgabe des Honorarbescheides voraussichtlich abgelaufen sein wird. Die rechtswidrige Ablehnung des Antrags der Krankenkasse auf sachlich-rechnerische Richtigstellung hemmt den Ablauf der Ausschlussfrist nur, wenn die betroffenen Vertragsärzte Kenntnis vom Richtigstellungsverfahren haben.
2. Dem Recht der Krankenkasse, eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit vertragsärztlicher Abrechnungen zu beantragen, steht nicht entgegen, dass die von der Honorarberichtigung betroffenen Leistungen Teil der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung sind.
3. Die Abrechnung des Chroniker-Zuschlags nach GOP 03212 EBM (juris: EBM-Ä 2008) zur Versichertenpauschale setzt voraus, dass der Versicherte in den vier Quartalen unmittelbar vor dem Abrechnungsquartal jeweils wenigstens einen Arzt-Patienten-Kontakt (ambulant oder stationär) zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung aufweist.
Nachgehend
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 11.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf sachlich-rechnerische Richtigstellung für das Quartal I/2010 in Bezug auf die Abrechnung der Nr. 03212 EBM-Ä unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) auf den Antrag der klagenden Krankenkasse sachlich-rechnerische Richtigstellungen der Honorarabrechnung gegenüber den Vertragsärzten vorzunehmen.
Mit Schreiben vom 24.02.2011 beantragte die klagende Krankenkasse die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit für die von den Vertragsärzten abgerechnete Nr. 03212 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM-Ä-Ä) als Zuschlag zu den Versichertenpauschalen für die Behandlung von Patienten mit schwerwiegender chronischer Erkrankung im Quartal I/2010. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.03.2011 ab. Gemäß § 106a Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) obliege den Krankenkassen bei der Antragstellung für Richtigstellungen eine besondere Darlegungslast. Die Prüfung auf Antrag stünde unter dem Vorbehalt, “sofern hierzu Veranlassung" bestehe. Die Krankenkasse müsse darlegen, warum nach objektiven Maßstäben eine fehlerhafte Abrechnung vorliege. Die dem Antrag beigefügte Tabelle mit den Prüfergebnissen reiche nicht aus. Hier seien lediglich die Betriebsstättennummer, die lebenslange Arztnummer, die MNR, die PKZ, die Versichertennamen und Geburtsdaten angegeben. Warum keine Dauerbehandlung vorgelegen haben solle, bleibe unklar. § 2 Abs. 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte (Chroniker-Richtlinie) treffe im Übrigen keine Aussage zum Zeitpunkt der kontinuierlichen Behandlung. Diese könne ggf. Jahre zurückliegen. Auch müsse die Behandlung nicht in ein und derselben Arztpraxis erfolgen.
Hiergegen richtete sich der von der Klägerin am 28.03.2011 eingelegte Widerspruch. Die Regelung in § 106a SGB V sei nicht einschlägig. Sie betreffe Plausibilitätsprüfungen. Die in der Tabelle genannten Ärzte hätten die Nr. 03212 EBM-Ä abgerechnet, ohne dass wenigstens ein Jahr lang einmal pro Quartal eine ärztliche Behandlung entsprechend § 2 Abs. 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte erfolgt sei. Zugrunde gelegt seien nur solche Fälle, bei denen in den drei dem Abrechnungsvierteljahr vorausgehenden Quartale nicht jeweils ein Arzt-/Patientenkontakt stattgefunden habe, sei es ambulant oder stationär.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2011, der Klägerin am 26.04.2011 zugestellt, zurück. An der Rechtsauffassung zum Verständnis des Wortlauts von § 106a Abs. 4 und 2 SGB V werde festgehalten. Voraussetzung für die Abrechenbarkeit der Nr. 03212 EBM-Ä sei nicht die Behandlung der schwerwiegenden chronischen Erkrankung, sondern die Behandlung eines Versicherten mit einer oder mehreren schwerwiegenden chronischen Erkrankungen. In § 2 Abs. 2 der Chroniker-Richtlinie des GBA heiße es hierzu: ...