Entscheidungsstichwort (Thema)
Genehmigungsfiktion des vom Versicherten gestellten Leistungsantrags bei Versäumung der Bescheidungsfrist durch die Krankenkasse
Orientierungssatz
1. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB 5 gewährt dem Versicherten als Rechtsfolge der Fristversäumnis bei einem von ihm gestellten Leistungsantrag sowohl einen Sachleistungs- als auch einen Kostenerstattungsanspruch.
2. Der fingierte Sachleistungsanspruch hängt nicht ab von der Einhaltung des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots nach §§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB 5.
3. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen in § 13 Abs. 3a S. 7 SGB 5 beschränkt den Kostenerstattungsanspruch auf subjektiv für den Versicherten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen. Die Liposuktion - Fettabsaugung - ist keine Leistung, die für jeden Versicherten erkennbar außerhalb des Leistungskatalogs steht.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2016 sowie des Bescheides vom 12.07.2016 verurteilt, die Kosten für eine WA-Liposuktion der unteren Extremitäten in Allgemeinanästhesie in 2 Eingriffen zu übernehmen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten sind der Eintritt und der Bestand einer Genehmigungsfiktion umstritten.
Die am 00.00.1979 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Dort beantragte sie am 08.07.2015 die Kostenübernahme für eine WA-Liposuktion der unteren Extremitäten in Allgemeinanästhesie in zwei Eingriffen unter Bezugnahme auf eine diese Behandlung befürwortende Stellungnahme des L, wonach die Klägerin an einem schmerzhaften Lipödem Grad 2 - 3 der unteren Extremitäten leide. Überwiegend finde sich ein Stadium 2 mit grobknotigen Veränderungen des Unterhautfettgewebes. Eine deutliche Berührungsempfindlichkeit finde sich in allen Bereichen. Auffallend sei eine starke Schwellung und Spannung im Unterhautfettgewebe in nahezu allen Bereichen. Um die Schmerzen und Beschwerden der Klägerin nachhaltig zu verbessern, bitte er um die Kostenübernahme der WA-Liposuktion der betroffenen Areale. Diesem Antrag fügte die Klägerin weitere ärztliche Stellungnahmen bei, die u.a. eine Adipositas und eine Anpassungsstörung belegen. Die Beklagte veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), worüber sie die Klägerin unter dem 27.07.2015 unterrichtete. U empfahl der Beklagten unter dem 04.08.2015, die Kosten für die mutmaßlich ambulant zu erbringende Liposuktion nicht zu übernehmen. Es handele sich hierbei um eine neue Behandlungsmethode, deren Kosten mangels Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden könnten. Gleichzeitig bestünden konservative Therapieoptionen, mit deren Hilfe eine Entstauung der Gliedmaßen erreicht werden könnte. Diesem Gutachten folgend lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Liposuktion der unteren Extremitäten in zwei Sitzungen mit Bescheid vom 18.08.2015 ab.
Die Klägerin widersprach und verwies darauf, ihr Antrag, der sich auf eine stationäre Leistungserbringung beziehe, gelte als genehmigt, nachdem die Beklagte ihn nicht binnen 5 Wochen beschieden habe. Diesen Widerspruch nahm die Beklagte zum Anlass, vom MDK ein weiteres Gutachten erstellen zu lassen. X stellte unter dem 16.11.2015 fest, auch bei stationärer Leistungserbringung obliege es dem GBA, das Potential einer Behandlungsmethode zu bewerten.
Bereits am 02.11.2015 hat die Klägerin Klage erhoben.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte zunächst den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2016 zurückgewiesen. Insbesondere gelte der Antrag nicht wegen Überschreitens der 5-Wochenfrist als genehmigt. Ferner hat sie die Genehmigungsfiktion mit Bescheid vom 12.07.2016 zurück genommen. Zur Begründung hat sie sich auf § 45 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) berufen und ausgeführt, die Klägerin genieße spätestens seit dem 18.08.2015 kein Vertrauen mehr in den Eintritt der Genehmigungsfiktion, weil die Beklagte an diesem Tag ihren Antrag auf Kostenübernahme abgelehnt habe. Ferner sei ein evtl. Vertrauen in den Bestand der Genehmigungsfiktion unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme nicht schutzwürdig. Denn bei der streitigen Behandlung handele sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, die beantragten Liposuktionsbehandlungen gelten nach Überschreitung der Entscheidungsfrist als genehmigt. Der Eintritt dieser Rechtsfolge werde durch zahlreiche Urteile bestätigt, auch das Bundessozialgericht (BSG) habe diese Rechtsprechung mit Urteil vom 08.03.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) bestätigt. Aus diesem Urteil folge zugleich, dass die von der Beklagten zuletzt verfügte Rücknahme der Genehmigungsfiktion rechtswidrig...