Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Pflegebedürftigen auf Übernahme ungedeckter Heimkosten durch den Sozialhilfeträger
Orientierungssatz
1. Nach § 19 Abs. 3 SGB 12 wird Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB 12 geleistet, soweit dem Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften dieses Buches nicht zuzumuten ist.
2. Ist der Antragsteller pflegebedürftig i. S. der §§ 61 S. 1, 61a Abs. 1 S. 1 SGB 12 und ist ihm die Aufbringung der Mittel aus Einkommen und Vermögen nicht möglich, so hat er gegenüber dem Sozialhilfeträger Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten durch den Sozialhilfeträger.
3. Der Nachranggrundsatz des § 2 SGB 12 steht dem Anspruch aus § 19 Abs. 3 SGB 12 nicht entgegen. Die Pflicht zur Selbsthilfe gemäß § 2 SGB 12 gilt nur im Rahmen der Vorschriften des SGB 12. Einkommen und Vermögen ist nur nach Maßgabe der §§ 82 bis 92a SGB 12 einzusetzen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 07.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2017 verurteilt, die ungedeckten Kosten für die Inanspruchnahme der Einrichtung der Beigeladenen durch die Klägerin für den Zeitraum vom 01.06.2017 bis zum 30.11.2019, also Kosten in Höhe von insgesamt 26.693,59 EUR zu übernehmen. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme ungedeckter Heimkosten der Klägerin durch die Beklagte als Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit ab Juni 2017.
Die im Jahre 19... geborene Klägerin bezieht eine Witwenrente von der Deutschen Rentenversicherung Rheinland. Sie verfügt über ein Girokonto bei der S.-Bank (IBAN: DE... ... ... ... ... ...), ein Sparbuch bei der Sparkasse M. (Kontonummer: ...), einer Lebensversicherung bei der A. Lebensversicherung AG (Vertragsnummer: ... ...) sowie einer Sterbegeldversicherung bei der R.-W. Sterbekasse Lebensversicherung AG (Vertragsnummer: ......). Bevollmächtigter der Klägerin u.a. für Angelegenheiten der Gesundheits- und Vermögenssorge ist der Sohn der Klägerin, Herr Detlef S. Seit dem 01.01.2017 ist die Klägerin dem Pflegegrad 3 zugeordnet und erhält entsprechende Leistungen der sozialen Pflegeversicherung.
Seit Mai 2011 befindet sich die Klägerin in vollstationärer Heimpflege in einer Einrichtung der Beigeladenen. Für den Zeitraum von Mai 2011 bis Mai 2014 übernahm die Beklagte die ungedeckten Heimkosten der Klägerin zunächst darlehensweise, da die Klägerin zur Hälfte Eigentümerin eines bebauten Grundstückes war. Nach dem Verkauf des Grundstücks zahlte die Klägerin das Darlehen an die Beklagte zurück. Aus dem verbleibenden Verkaufserlös finanzierte die Klägerin die ungedeckten Heimkosten bis einschließlich Januar 2017 selbst.
Zwischen dem 29.01.2017 und dem 13.02.2017 verstarb der Cousins der Klägerin, Herr Axel D. Am 28.03.2017 schlug die Klägerin die Erbschaft nach dem Verstorbenen aus. Ihr Sohn und Bevollmächtigter schlug das Erbe ebenfalls aus. Mit Beschluss vom 31.03.2017 ordnete das Amtsgericht M. aufgrund einer ungeklärten Erbenstellung und eines vorhandenen sicherungsbedürftigen Nachlasses eine Nachlasspflegschaft an. Aus einem durch die Nachlasspflegerin erstellten vorläufigen Nachlassverzeichnis ergab sich ein Wert des Nachlasses in Höhe von etwa 430.000 EUR.
Ab Februar 2017 gewährte die Beklagte der Klägerin zunächst Pflegewohngeld. Nachdem die Beklagte durch eine anonyme Mitteilung von der Erbausschlagung der Klägerin erfuhr, hob sie den entsprechenden Bewilligungsbescheid rückwirkend auf. Nach einem vor dem Verwaltungsgericht D. geführten gerichtlichen Verfahren nahm die Beklagte die Pflegewohngeldzahlung wieder auf.
Am 21.04.2017 beantragte die Klägerin telefonisch Sozialhilfe bei der Beklagten. Am 27.06.2017 ging ein formeller Antrag auf Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) der Klägerin bei der Beklagten ein. Auf Nachfrage der Beklagten zum Grund der Erbausschlagung erklärte die Klägerin, dass sie das Erbe ausgeschlagen habe, da zu diesem Zeitpunkt nicht aufgeklärt gewesen sei, ob der Nachlass eventuell überschuldet gewesen sei. Um die sechswöchige Frist des §§ 1944 BGB zu wahren, habe sie daher am 28.03.2017 das Erbe ausgeschlagen. Sie habe befürchtet, dass das Erbe überschuldet gewesen sei.
Mit Bescheid vom 07.09.2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass der Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII einem Anspruch der Klägerin entgegenstehe, da die Klägerin die Hilfebedürftigkeit durch den Erbverzicht vorsätzlich bzw. grob fahrlässig herbeigeführt habe. Ohne den Erbverzicht wäre sie in der Lage gewesen, die entstehenden Heimpflegekosten aus eigenen Mitteln selbst zu leisten. Die Erbausschlagung der Klägerin sei gemäß § 138 BGB sittenwidrig, da sie lediglich erfolgt sei, um Leistungen der öffentlichen Hand in Anspruch zu nehmen. Die Beklagte verwies hierzu auf einen Beschluss des Bayerischen ...