Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsabgabe. Beschäftigungspflicht Schwerbehinderter. Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung von Arbeitskräften eines deutschen Unternehmers in die Niederlande. Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes über Beschäftigungspflicht und zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe für unbesetzte Pflichtarbeitsplätze
Orientierungssatz
1. Die Regelungen über die Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen und zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe stellen zwar eine Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG dar. Sie sind aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt und genügen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Vergleiche BVerfG, Beschluss vom 01.10.2004 - 1 BvR 2221/03).
2. Die Regelungen über die Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen und zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe sind geeignet, das gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG legitime Ziel der beruflichen Integration behinderter Menschen zu erreichen und nach wie vor auch erforderlich und zumutbar, da überproportional viele schwerbehinderte Menschen arbeitslos sind und die Arbeitgeber hierdurch nicht unverhältnismäßig belastet werden. Dabei sind weder die gesetzliche Pflichtquote iHv 6 vH ab 20 Arbeitsplätzen gemäß § 72 Abs. 2 SGB IX iVm § 71 Abs. 1 SGB IX noch die gestaffelte Ausgleichsabgabe iSv § 77 Abs. 2 SGB IX überhöht (Vergleiche BVerfG, aaO).
3. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung deutscher Unternehmen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG im Verhältnis zu ausländischen Unternehmern ist nicht ersichtlich, da auch in mindestens neun Mitgliedsstaaten der EU eine Beschäftigungspflicht für schwerbehinderte Menschen besteht. Es begründet auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wenn die Bundesrepublik Regelungen erlässt, die von jenen in anderen Mitgliedstaaten der EU abweichen (Vergleiche BVerfG, aaO).
4. Die Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe bei der Arbeitnehmerüberlassung trifft den Verleiher als Vertragsarbeitgeber der Leiharbeitnehmer.
5. Bei Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen durch einen deutschen Arbeitgeber hat der deutsche Arbeitgeber die sich aus dem SGB IX ergebenden Schutzrechte zu beachten. Er hat als juristischer Arbeitgeber die besonderen Regelungen z. B. über die Dauer des Jahresurlaubs und den Kündigungsschutz zu beachten.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 1.260,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Ausgleichsabgabe für das Jahr 2006.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen mit dem Betriebszweck der Erbringung von Personaldienstleistungen und Arbeitnehmerüberlassungen. Mit Schreiben vom 11.06.2008 wandte sie sich über ihre Bevollmächtigten an die Beklagte mit der Bitte um Prüfung, ob die in die Niederlande entliehenen Arbeitnehmer in die Berechnung der Ausgleichsabgabe mit einflössen. Dazu führte sie aus, dass nach niederländischem Recht Leiharbeitnehmer bzw. Fremdpersonal dem Betrieb des Entleihers zugeordnet würden. Dieser sei für den Gesundheitsschutz, den Schutz Behinderter etc. verantwortlich. Sie selbst könne nicht gewährleisten, dass die Schutzvorschriften des deutschen Schwerbehindertenrechtes von niederländischen Entleihern eingehalten würden. Der niederländische Entleiher sei an die Einhaltung der Vorschriften des SGB IX nicht gebunden, sondern habe die niederländischen Schutzvorschriften für Behinderte zu beachten. Sie könne den Entleiher auch nicht zur Beachtung der Vorschriften des SGB IX verpflichten, denn da die Leiharbeitnehmer dem Unternehmen des Entleihers zugeordnet würden, müsse er die Vorschriften seines eigenen Staates einhalten. Aus diesem Grund sei sie der Meinung, dass die in die Niederlanden entliehenen Arbeitnehmer bei der Ermittlung der Ausgleichsabgabe nicht zu berücksichtigen seien.
Mit Bescheid vom 17.06.2008 stellte die Beklagte die Beschäftigungspflicht für schwerbehinderte Menschen im Kalenderjahr 2006 auf 12 Pflichtarbeitsplätze fest, von denen keiner besetzt gewesen sei, mit der Folge, dass eine Ausgleichsabgabe von 1.260,00 EUR für das Jahr 2006 zu entrichten sei. Dabei legte die Beklagte eine Beschäftigung von 38 Arbeitnehmern im Jahresdurchschnitt zugrunde.
Zur Begründung ihres am 21.07.2008 eingelegten Widerspruchs wiederholte die Klägerin ihre Sachdarstellung und Rechtsansicht aus dem Schreiben vom 11.06.2008 und führte darüberhinaus aus, dass sie im Jahr 2006 in Deutschland nur durchschnittlich 4,17 Beschäftigte gehabt habe und damit unterhalb der Mindestzahl von 20 Arbeitsplätzen gewesen sei. Die Anzahl der Beschäftigten in den Niederlanden habe im Jahresdurchschnitt 2006 37,25 betragen. Diese seien nach ihrer Rechtsansicht nicht zu berücksichtigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gestützt auf § 80 Abs. 3 SGB IX als unbegründet zurück. Die Klägerin habe es entgegen der aus § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auferlegten Pflicht unterlassen, die für die Berechnung der Au...