Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen. Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers bei fehlenden bereiten Mitteln des Einrichtungsträgers. Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei Unterbringung in stationärer Einrichtung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Sicherstellung des Lebensunterhaltes ist auch bei einer längerfristigen stationären Unterbringung Aufgabe der Sozialhilfe, wenn jedenfalls - möglicherweise zu Unrecht - keine finanziellen Mittel durch die Einrichtung selbst (persönliches Taschengeld) zur Verfügung gestellt werden.
2. Die Ablehnung der Hilfe zum Lebensunterhalt kann nicht mit der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers begründet werden, wenn dieser tatsächlich keine Zahlungen erbringt.
Orientierungssatz
1. Zu den stationären Einrichtungen iS von § 7 Abs 4 Alt 1 SGB 2 gehört auch eine Justizvollzugs- oder Untersuchungshaftanstalt. Als Einrichtung iS des § 7 Abs 4 Alt 1 SGB 2 kann jede vollstationäre Einrichtung aufgefasst werden, in der der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfebedürftigen die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden sind. Diese Voraussetzungen sind bei einer Klinik für forensische Psychiatrie, in die ein Hilfebedürftiger nach § 126a StPO eingewiesen ist, erfüllt.
2. Da auch in stationären Einrichtungen Untergebrachte erwerbsfähig sein können, ist § 7 Abs 4 Alt 1 SGB 2 als gesetzliche Fiktion der Nichterwerbsfähigkeit auszulegen.
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 08.05.2006 bis zum 31.07.2006, höchstens aber bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 11.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006, Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Barbetrags nach § 35 Abs. 2 SGB XII zu gewähren.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung des Barbetrags nach § 35 Abs. 2 SGB XII (Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch).
Der 1972 geborene Antragsteller hat seinen Wohnsitz in H.. Er ist seit dem 25.11.2005 nach § 126a Strafprozessordnung (StPO) in der Klinik für forensische Psychiatrie ... untergebracht. Vorher bezog er Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB III).
Mit Schreiben vom 29.11.2005 bat die Klinik um die Gewährung eines Barbetrags nach dem SGB XII für den Antragsteller und fügte einen vom Antragsteller selbst unter dem 28.11.2005 gezeichneten Antrag bei. Beigefügt war weiter ein Schreiben des bei der Klinik beschäftigten Sozialarbeiters, D., wonach sich bezüglich des Entlassungsdatums zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine konkreten Angaben treffen ließen. Es sei allerdings von einer Aufenthaltsdauer in der Klinik von mehr als sechs Monaten auszugehen.
Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.01.2006 ab, wobei er die Auffassung vertrat, dass die Justizvollzugsanstalt bzw. die Einrichtung zur einstweiligen Unterbringung alle für die Führung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen und fürsorgerechtlich anerkannten Bedarfe zu erbringen habe. Seien die Leistungen der Justizvollzugsanstalt bzw. Einrichtung nicht ausreichend, den beschriebenen Bedarf zu decken, könne ein Verweis auf die nachrangige Grundsicherung für Erwerbsfähige nicht erfolgen. Dieses sei analog für die Leistungen nach dem SGB XII zu sehen.
Den Widerspruch des Klägers vom 12.01.2006 wies der Main-Kinzig-Kreis als Widerspruchsbehörde durch Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf eine entsprechende Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 28.06.2005 vertrat auch die Widerspruchsbehörde die Auffassung, dass es alleinige Aufgabe der Vollzugseinrichtungen und somit der Länder sei, während der Haft bzw. der Unterbringung für die notwendigen und fürsorgerechtlich anerkannten Bedarfe zu sorgen. Der Antragsteller müsse sich mithin auf die vorrangige Inanspruchnahme der Leistungen der Einrichtung verweisen lassen. Der Widerspruchsbescheid verwies im Rahmen der Rechtsmittelbelehrung auf das Sozialgericht Gießen als für die Klage zuständiges Gericht. Außerdem enthält die Rechtsmittelbelehrung den Passus: “Die Klage hat den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen.„
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 04.05.2006, eingegangen bei Gericht am 08.05.2006, beim Sozialgericht Gießen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Das SG Gießen hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 24.05.2006 an das hiesige Sozialgericht verwiesen.
Zur Begründung hat der Antragsteller darauf verwiesen, dass die Klinik nicht für alle notwendigen Bedarfe wie z.B. Toiletten- und Hygieneartikel oder habe keinerlei fi...