Orientierungssatz
Zum Anspruch auf Neubescheidung wegen unzureichender Sachverhaltsermittlung gem § 20 SGB 10 (hier: Feststellung einer etwaigen Verschlimmerung des Hörverlustes als Folge der anerkannten BK 2301).
Tenor
Der Bescheid vom 30.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.08.2017 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte es abgelehnt hat, die seit dem Jahr 2002 eingetretene Verschlimmerung des Hörverlustes als Folge der BK Nr. 2301 festzustellen und den Kläger mit einem Hörgerät/Hörgeräten zu versorgen sowie ihm eine Rente zu gewähren, und die Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden über den Anspruch auf Feststellung, dass der seit 2002 eingetretene Hörverlust Folge der BK Nr. 2301 ist, sowie über die Ansprüche auf Versorgung mit einem Hörgerät/Hörgeräten und die Gewährung einer Rente.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Verschlimmerung seiner Schwerhörigkeit Folge der anerkannten BK Nr. 2301 ist sowie die Versorgung mit einem Hörgerät und die Gewährung einer Rente.
Mit bei der Beklagten am 10.02.2016 eingegangenem Schreiben zeigte der Facharzt für Arbeitsmedizin C. (D. AG) der Beklagten den Verdacht auf Vorliegen der Berufskrankheit Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) an. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger 59 Jahre alt.
Am 17.02.2016 füllte der Kläger den von der Beklagten übersandten Fragebogen zur BK 2301 aus. Hierin gab er an, dass die Erkrankung (Hörminderung) sich erstmalig am 22.08.1994 bei einem Hörtest am Flughafen bemerkbar gemacht habe. Seitdem werde er von der Flughafenklinik der D. AG untersucht/behandelt. Arbeitsmedizinische Voruntersuchungen seien bei Dr. E. (E-Stadt) durchgeführt worden. Er sei vom 01.09.1971 bis 21.08.1994 bei der Firma F. als Dreher und Fräser im Umfang von 30 Stunden pro Woche, zu 100 % in geschlossenen Räumen, tätig gewesen. Gehörschutz sei ihm nicht zur Verfügung gestellt worden. Seit dem 22.08.1994 bis heute sei er bei der D. AG als Gepäckmeister mit 35 Wochenstunden tätig; sein Arbeitsbereich liege auf dem Vorfeld des Flughafens und finde zu 30 % in geschlossenen Räumen und zu 70 % im Freien statt. Der Lärm gehe vom Flughafen, dem Vorfeld und den Flugzeugen aus. Gehörschutz sei ihm zur Verfügung gestellt und von ihm auch getragen worden. Ein Hörgerät habe er nicht.
Im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen forderte die Beklagte bei der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers eine Mitglieds- und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an. Diese ergab eine fortlaufende Mitgliedschaft des Klägers seit dem 01.09.1971 sowie Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers vom 01.11.2001 bis 05.11.2001 u. a. wegen “Otitis media„ und vom 09.01.2004 bis 12.01.2004 u. a. wegen “Entzündung der Tuba auditiva„.
Der Arbeitgeber des Klägers (durch die Personalabteilung, Frau G.) meldete sich unter dem 01.04.2016 und gab an, dass der Kläger vom 22.08.1994 bis 30.04.2002 im Gepäckdienst/in der Flugzeugabfertigung als Gepäckabfertiger (Be- und Entladen von Gepäck) tätig gewesen sei sowie seit dem 01.05.2002 bis dato im Gepäckdienst als Gepäckmeister tätig sei mit Führungsverantwortung und weniger körperlicher Arbeit. Von Anfang an sei der Kläger in der Gepäckabfertigung (Fluggastgepäck) 80 % in geschlossenen Räumen und 20 % im Freien, 4 Stunden pro Arbeitsschicht, 16 Stunden pro Woche, ca. 4 bis 5 Tage pro Monat dem Lärm der Gepäckförderanlage ausgesetzt. Lärmmessungen seien nicht durchgeführt worden. Dem Arbeitgeber seien keine beruflichen Einwirkungen bekannt, die die Hörminderung erklären könnten. Fortwährend fänden arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen des Klägers bei Herrn C. statt und Schutzmaßnahmen (Gehörschutz) würden regelmäßig beachtet.
Der Hausarzt des Klägers, Dr. H., äußerte sich in seinem Befundbericht für die Beklagte vom 07.04.2016 so: Der Kläger sei bei ihm als Dauerpatient seit dem 01.04.1983 in Behandlung. Es bestehe eine beidseitige Lärmschwerhörigkeit mit Hörgeräteversorgung beidseits und Tragen eines konsequenten Gehörschutzes, zumindest seit 10/2000. Anamnestisch habe vor der Einstellung bei D. bereits eine geringgradige Schwerhörigkeit bestanden. Der Kläger sei früher bei dem mittlerweile verstorbenen HNO-Arzt Dr. I. sowie zur gelegentlichen Mitbehandlung bei dem HNO-Arzt Dr. J. sowie bei Herrn Dr. E. in Behandlung gewesen. Seinem Bericht waren beigefügt bzw. liegen nachgeheftet in der Verwaltungsakte:
1. der Bescheid nach dem Schwerbehindertenrecht des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales vom 29.06.2010 (GdB 30 wegen Koronarer Herzkrankheit, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Funktionsstörung im Knie links und Funktionsstörung der Wirbelsäule),
2. Arbeitsmedizinische Audiogramme vom
a) 14.07.1994 (Einstellungsuntersuchung mit dem Vermerk: “=≫ HNO„),
b) 14.10.1997 (Nachuntersuchung unter Verweis auf den Vorbefund 1994),
c) 11.10.2000 (Nachuntersuchung unter Verweis auf den Vorbefund 1997 mit der Auflage, dass der ...