Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenrente. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. zeitliche Begrenzung. Verwaltungsakt. fehlender Antrag

 

Leitsatz (amtlich)

§ 44 Abs 4 SGB 10 findet im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs keine Anwendung (Anschluss an BSG vom 26.6.2007 - B 4 R 19/07 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 12, entgegen BSG vom 4.2.2001 - B 9 V 9/00 R = BSGE 87, 280 = SozR 3-1200 § 14 Nr 31 und vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R = BSGE 98, 162 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9).

 

Orientierungssatz

Die Auffassung, dass jedenfalls durch die Einführung des § 48 Abs 4 SGB 10, der die Rückwirkung auch zugunsten des Betroffenen auf ebenfalls vier Jahre begrenzt, eine analoge Anwendung auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wegen vergleichbarer Interessenlage möglich ist, überzeugt nicht (entgegen BSG vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R aaO).

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 27.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2008 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Witwenrente bereits ab dem 22.10.1979 zu gewähren.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Witwenrente für die Zeit vom 22.10.1979 bis 31.12.2002.

Die am xx.xx.1940 geborene Klägerin kam im Jahre 1969 aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland und heiratete am xx.xx.1978 ihren am 22.10.1979 verstorbenen Ehemann. Am 22.03.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente. Mit Be-scheid vom 10.04.2007 gewährte die Beklagte der Klägerin rückwirkend zum 01.03.2006 Witwenrente in Höhe von 162,43 € monatlich. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Wider-spruch ein, mit dem sie die Bewilligung der Witwenrente bereits ab dem 22.10.1979 begehrte. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Im darauf folgenden Klageverfahren (S 11 R 3374/07) stellte sich heraus, dass der am xx.xx.1974 geborenen Tochter der Klägerin auf Antrag des Jugendamtes von der Beklagten mit Bescheid vom 05.11.1987 Waisenrente vom 01.01.1980 bis 30.09.1989 gewährt worden war. Daraufhin schlossen die Parteien einen Vergleich dahin-gehend, dass die Beklagte im Hinblick auf die für die Tochter bezahlte Waisenrente im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente erneut prüfen würde.

Nach erfolgter Prüfung gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 27.06.2008 aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches rückwirkend zum 01.01.2003 Witwen-rente. Für die Zeit davor bestünde kein Anspruch, da § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) analog anzuwenden sei, der die rückwirkende Änderung auf vier Jahre begrenze. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 04.07.2008 Widerspruch ein, mit dem sie Ge-währung der Rente bereits ab dem 22.10.1979 begehrte. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Daraufhin erhob die Klägerin am 27.08.2008 durch ihren Bevollmächtigten erneut Klage zum Sozialgericht Freiburg. § 44 Abs. 4 SGB X sei, wie vorliegend, für die Fälle nicht analog an-wendbar, in denen der Versicherte aufgrund einer fehlenden Belehrung keine Kenntnis von seinem Anspruch habe. Zudem sei § 44 Abs.4 SGB X erst 1981 und somit nach dem Tod des Ehemannes in Kraft getreten, ebenso die Vorschrift des § 48 Abs. 4 SGB X im Jahre 1994.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 27.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente für die Zeit vom 22.10.1979 bis 31.12.2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich weiterhin auf die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Sie ist auch in vollem Umfang begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente bereits ab dem 22.10.1979. Der Antrag der Klägerin ist so auszulegen, dass Witwenrente nicht ausschließlich für die Zeit vom 22.10.1979 bis 31.12.2002 begehrt wird, sondern auch für diesen Zeitraum.

Zwar hat die Klägerin den Antrag auf Witwenrente erst am 22.03.2007 gestellt. Bei Anträgen zu diesem Zeitpunkt richtet sich ein Anspruch auf Witwenrente nach § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Nach Abs. 2 Nr. 1 dieser Vorschrift haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder Witwerrente, wenn sie ein eigenes Kind, oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen. § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI regelt, dass eine Hinterbliebenenrente bei verspäteter Antragstellung n...

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