Entscheidungsstichwort (Thema)

Die Beschränkung der nachträglichen Erbringung von Sozialleistungen auf vier Jahre nach § 44 Abs. 4 SGB 10 gilt nicht entsprechend bei Ansprüchen auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs

 

Orientierungssatz

1. Besteht der Anspruch auf Witwenrente auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, so findet die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10, dass Leistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren (vor der Rücknahme) erbracht werden, keine entsprechende Anwendung (Anschluss u.a. an BSG, Urteil vom 26.06.2007, B 4 R 19/07 R; Abweichung u.a. von BSG, Urteil vom 27.03.2007, B 13 R 58/06 R).

2. Eine Witwenrente, die im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu leisten ist, weil die Witwe bei der Beantragung einer Halbwaisenrente im Jahr 1987 nicht darauf hingewiesen wurde, dass ihr nach § 1264 Abs. 1 RVO ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente vom Zeitpunkt des Todes des Versicherten an zustehe, ist zum einen wegen der Unanwendbarkeit von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 bereits ab dem Tod des versicherten Ehemanns im Jahr 1979 zu zahlen, auch wenn der Rentenantrag wegen der unterbliebenen Beratung erst im Jahr 2007 gestellt worden ist. Zum anderen galt nach §§ 1264 Abs. 1 und 1290 Abs. 1 Satz 3 RVO im Jahr 1987 keine § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB 6 entsprechende Begrenzung der Rückwirkung von Anträgen auf Hinterbliebenenrente.

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 27.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2008 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Witwenrente bereits ab dem 22.10.1979 zu gewähren.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Witwenrente für die Zeit vom 22.10.1979 bis 31.12.2002.

Die am xx.xx.1940 geborene Klägerin kam im Jahre 1969 aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland und heiratete am xx.xx.1978 ihren am 22.10.1979 verstorbenen Ehemann. Am 22.03.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente. Mit Bescheid vom 10.04.2007 gewährte die Beklagte der Klägerin rückwirkend zum 01.03.2006 Witwenrente in Höhe von 162,43 EUR monatlich. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie die Bewilligung der Witwenrente bereits ab dem 22.10.1979 begehrte. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Im darauf folgenden Klageverfahren (S 11 R 3374/07) stellte sich heraus, dass der am xx.xx.1974 geborenen Tochter der Klägerin auf Antrag des Jugendamtes von der Beklagten mit Bescheid vom 05.11.1987 Waisenrente vom 01.01.1980 bis 30.09.1989 gewährt worden war. Daraufhin schlossen die Parteien einen Vergleich dahin-gehend, dass die Beklagte im Hinblick auf die für die Tochter bezahlte Waisenrente im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente erneut prüfen würde.

Nach erfolgter Prüfung gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 27.06.2008 aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches rückwirkend zum 01.01.2003 Witwenrente. Für die Zeit davor bestünde kein Anspruch, da § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) analog anzuwenden sei, der die rückwirkende Änderung auf vier Jahre begrenze. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 04.07.2008 Widerspruch ein, mit dem sie Gewährung der Rente bereits ab dem 22.10.1979 begehrte. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Daraufhin erhob die Klägerin am 27.08.2008 durch ihren Bevollmächtigten erneut Klage zum Sozialgericht Freiburg. § 44 Abs. 4 SGB X sei, wie vorliegend, für die Fälle nicht analog anwendbar, in denen der Versicherte aufgrund einer fehlenden Belehrung keine Kenntnis von seinem Anspruch habe. Zudem sei § 44 Abs.4 SGB X erst 1981 und somit nach dem Tod des Ehemannes in Kraft getreten, ebenso die Vorschrift des § 48 Abs. 4 SGB X im Jahre 1994.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 27.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente für die Zeit vom 22.10.1979 bis 31.12.2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich weiterhin auf die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Sie ist auch in vollem Umfang begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente bereits ab dem 22.10.1979. Der Antrag der Klägerin ist so auszulegen, dass Witwenrente nicht ausschließlich für die Zeit vom 22.10.1979 bis 31.12.2002 begehrt wird, sondern auch für diesen Zeitraum.

Zwar hat die Klägerin den Antrag auf Witwenrente erst am 22.03.2007 gestellt. Bei Anträgen zu diesem Zeitpun...

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