Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeld. Grenzgänger der Europäischen Union. französischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Frankreich. Arbeitsplatz in Deutschland. Krankengeldberechnung unter Abzug des fiktiven französischen Lohnsteuersatzes. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein französischer Staatsbürger, der in Deutschland arbeitet und in Frankreich seinen Wohnsitz hat, erhält bei Arbeitsunfähigkeit Krankengeld von der deutschen Krankenkasse unter Abzug des fiktiven französischen Lohnsteuersatzes.

2. Das Urteil ist, nachdem die Berufungen beider Beteiligten zurückgenommen wurden, rechtskräftig.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 08.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2012 verurteilt, eine Neuberechnung des Krankengelds des Klägers für die Zeit ab dem 24.05.2011 unter Abzug des fiktiven französischen Lohnsteuersatzes vorzunehmen.

2. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 08.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2012 verurteilt, eine Neuberechnung des Krankengelds des Klägers für den Zeitraum vom 09.08.2010 - 12.12.2010 unter Abzug des fiktiven französischen Lohnsteuersatzes vorzunehmen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die fiktive Berechnung von Lohnsteuer auf das dem Kläger gewährte Krankengeld in zwei Arbeitsunfähigkeitszeiträumen.

Der 1954 geborene Kläger, der bei der Beklagten krankenversichert ist, ist französischer Staatsbürger. Er arbeitet in Deutschland bei X in X und hat seinen Wohnsitz in Frankreich.

Aufgrund von Arbeitsunfähigkeit erhielt er von der Beklagten vom 25.06.2010 -12.12.2010 und für den Zeitraum ab dem 05.07.2011 Krankengeld.

Mit Schreiben vom 28.10.2011 beantragte der Kläger, sein Krankengeld solle von seinem vollen Nettolohn ohne einen fiktiven Steuerabzug berechnet werden.

Die Beklagte wies dieses Begehren mit 2 Bescheiden vom 08.11.2011 betreffend die unterschiedlichen Zahlungszeiträume zurück. Zur Begründung ist u. a. angegeben, aufgrund der Vorschrift des § 47 Absatz 5 SGB IX würden bei Leistungsempfängern, die im Inland nicht einkommensteuerpflichtig seien, für die Feststellung des entgangenen Nettoarbeitsentgelts die Steuern berücksichtigt, die bei einer Steuerpflicht im Inland durch Abzug vom Arbeitsentgelt erhoben würden. Dies sei auch die Meinung der Spitzenverbände der Krankenkassen bzw. der Unfallversicherungsträger.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.12.2011 Widerspruch, den er damit begründete, seit dem 01.05.2010 sei die Verordnung (EG VO) 988/2009 in Kraft, die in ihrem Anhang XI Deutschland Nr. 3 ausdrücklich regele, dass zur Berechnung des Regelentgelts gemäß § 47 SGB V das tatsächliche Nettoarbeitsentgelt und nicht ein fiktiver Nettolohn wie in § 47 SGB IX zugrunde zu legen sei, wenn der Versicherte dies verlange.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit den Widerspruchsbescheiden vom 17.01.2012, wiederum getrennt nach Krankengeldzahlungszeiträumen, zurück. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, ausgehend von den Regelungen der EWG VO 1408/71 sei es seit vielen Jahren gängige - und auch bisher unbestrittene - Praxis und herrschende Meinung, dass das Krankengeld von dem zuständigen Sozialversicherungsträger so berechnet werde, als ob der Grenzgänger in Deutschland wohne. Im Jahre 1983 habe das Bundessozialgericht entschieden, dass bei einem in Deutschland beschäftigten ausländischen Staatsangehörigen, der aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens keine Lohnsteuer nach deutschem Recht zu zahlen habe, bei Ermittlung des Nettoarbeitsentgeltes die an dem ausländischen Wohnort zu entrichtende Steuer aus dem Arbeitsentgelt anzusetzen sei. Diese Entscheidung sei durch die Aufnahme in die EWG VO 1408/71 im Anhang VI Abschnitt C Deutschland im Oktober 1983 umgesetzt worden. Auch die Anlage XI der EG VO 883/2004 bestätige grundsätzlich die einheitliche Anwendung der Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates. Hierbei sollten die Regelungen in nationales Recht übernommen werden; geltendes deutsches Recht sei die Regelung im § 47 SGB IX. Mit der Regelung in der Anlage XI der EG VO 883/2004 habe sich auch die sogenannte Task Force Grenzgänger befasst. Hierbei handele es sich um ein Projekt mit den Partnern Ministerium für Arbeit, Familie, Prävention, Soziales und Sport des Saarlandes, der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens sowie Luxemburg, Rheinland-Pfalz, Wallonie und Lothringen. Diese habe in einem Gutachten festgehalten, dass eine Krankengeldneuberechnung wie vorliegend beantragt nicht mit Gemeinschaftsrecht konform sei.

In dem Widerspruchsbescheid betreffend den Krankengeldzeitraum vom 25.06. - 12.12.2010 ist darüber hinaus noch ausgeführt, die Beantragung des höheren Krankengeldes ab 09.08.2010 sei nicht mehr uneingeschränkt möglich. Die letzten Krankengeldzahlungen aus Anlass der Arbeitsunfähigk...

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