Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. persönliche Assistenz während des Besuchs der Grundschule. Abgrenzung zur Behandlungspflege nach § 37 SGB 5
Leitsatz (amtlich)
Benötigt ein an Diabetes mellitus Typ 1 erkranktes Kind, welches mit einer Insulinpumpe behandelt wird, zwecks Sicherstellung des Schulbesuchs im Schulalltag Unterstützung, Anleitung und Beobachtung, die darauf ausgerichtet ist, das Kind zu befähigen, künftig eigenständig auf Schwankungen seiner Blutzuckerwerte angemessen zu reagieren, unterfallen die Kosten für eine erforderliche persönliche Assistenz des Kindes während des Besuchs einer Grundschule den Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und nicht den Leistungen der Behandlungspflege nach § 37 SGB V.
Orientierungssatz
Az beim LSG Darmstadt: L 4 SO 23/17 B ER
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab sofort vorläufig die Kosten für eine persönliche Assistenz des Antragstellers für den Besuch der U.-Schule in Z. in dem Schuljahr 2016/2017 in einem Umfang von 5,5 Wochenstunden zuzüglich einer ganztägigen Betreuung bei Schulausflügen sowie bei sportlichen Schulveranstaltungen außerhalb des regelmäßigen wöchentlichen Sportunterrichts, längstens bis zu einer Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache, zu übernehmen.
2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII in Form der Übernahme der Kosten für eine Schulassistenz während des Besuchs einer Grundschule.
Der 2010 geborene Antragsteller, welcher seit dem Schuljahr 2016/17 die erste Klasse der U-Schule in Y. besucht, leidet an einem im Jahr 2015 manifestierten Diabetes mellitus Typ 1, welcher mittels einer Insulinpumpe behandelt wird. Bei dieser Behandlungsform wird durch die Pumpe kontinuierlich über 24 Stunden zum einen Insulin nach vorprogrammierten Raten abgegeben. Daneben ist es erforderlich, zu den einzelnen Mahlzeiten und bei Akutsituationen zusätzliches Insulin (sog. Bolus-Insulin) zu verabreichen. Hierzu ist regelmäßig, insbesondere vor den Mahlzeiten und bei sportlicher Betätigung, der Blutzucker des Antragstellers zu bestimmen, bei geplanter Nahrungsaufnahme der Kohlenhydratanteil festzustellen und dann mittels bekannter Faktoren die Bolus-Insulingabe zu berechnen und per Manipulation an der Pumpe abzugeben. Der Antragsteller selbst ist ausweislich eines Berichts des behandelnden Kinderdiabetologen vom 19.12.2016 (Bl. 57 der Gerichtsakte) noch nicht in der Lage, diese Berechnung durchzuführen und muss auch angehalten werden, die notwendigen Blutzuckerkontrollen durchzuführen. Auch die Bedienung der Pumpe kann der Antragsteller momentan noch nicht vornehmen, sodass er hierfür eine Assistenz benötigt. Dies ist nach Einschätzung des behandelnden Kinderdiabetologen so lange nötig, bis der Antragsteller die erforderliche Reife entwickelt, um die geschilderten Aufgaben selbstständig zu übernehmen, womit nicht vor Ende des laufenden Schuljahres zu rechnen sei.
Mit Bescheid des Hessischen Amtes für B-Stadt vom 17.10.2016 wurde dem Antragsteller ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Darüber hinaus wurde bei dem Antragsteller das Merkzeichen "H" festgestellt.
Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 03.04.2016, bei dem Antragsgegner eingegangen am 06.04.2016, beantragte der Antragsteller die Kostenübernahme für eine Schulbegleitung in Form einer Teilhabeassistenz gemäß § 53 SGB XII. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller zwar wegen seiner Erkrankung hinreichend geschult sei, jedoch wegen der neuen Situation in der Schule Begleitung und Hilfestellung benötige, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Insbesondere müsse darauf geachtet werden, dass der Antragsteller regelmäßige Mahlzeiten zu sich nehme. Dazu benötige er in der Eingewöhnungsphase in der Schule besondere Betreuung, welche durch das Lehrpersonal nicht gewährleistet werden könne. Auch der Mutter des Antragstellers sei es nicht möglich, die Betreuung selbst vorzunehmen, da sie in Vollzeit berufstätig und alleinerziehend sei. Dem vorgenannten Antrag beigefügt war eine Stellungnahme der Klassenlehrerin und Schulleiterin des Antragstellers vom 17.03.2016 sowie ein nicht datierter Bericht des Kinderkrankenpflegers/Diabetesberaters QB. der Klinikum D-Stadt gAG, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin.
Mit Bescheid vom 26.07.2016, dem Verfahrensbevollmächtigten zugestellt am 01.08.2016, lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Kostenübernahme für den Einsatz eines Teilhabeassistenten zu Betreuung des Antragstellers in der vorgenannten Grundschule mit der Begründung ab, dass der Antragsteller nicht zu dem Personenkreis des § 53 SGB XII in Verbindung mit § 2 SGB IX gehöre. Blutzuckermessungen seien me...