Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. persönliche Assistenz für ein behindertes Kind während der Mahlzeiten bei Besuch eines Kindergartens. Abgrenzung zu den Leistungen der Hilfe zur Pflege und der sozialen Pflegeversicherung. wesentliche Behinderung. Leistung der Eingliederungshilfe. kein Nachrang gegenüber den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Benötigt ein behindertes Kind aufgrund einer angeborenen Erkrankung (hier: Fehlbildung der Luft- und Speiseröhre) eine ständige Beaufsichtigung bei den Mahlzeiten, unterfallen die Kosten für eine erforderliche persönliche Assistenz des Kindes während des Besuchs eines Kindergartens den Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und nicht den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung.

2. Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig (§ 13 Abs 3 S 3 SGB XI). Das behinderte Kind kann daher nicht darauf verwiesen werden, das von der Pflegekasse gewährte Pflegegeld ganz oder teilweise bedarfsmindernd zur Deckung der Kosten für die persönliche Assistenz in Anspruch zu nehmen.

 

Orientierungssatz

1. Für die Wesentlichkeit einer Behinderung iS des § 53 Abs 1 S 1 SGB 12 ist nicht der Umfang des Funktionsdefizits entscheidend, sondern die Auswirkungen der Beeinträchtigung auf die Eingliederung in die Gesellschaft (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R = BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8).

2. Als Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen kommen alle Maßnahmen in Betracht, die geeignet und erforderlich sind, die Aufgaben der Eingliederungshilfe (vgl § 53 Abs 3 SGB 12) zu erfüllen.

 

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für eine persönliche Assistenz des Antragstellers für den Besuch des Kindergartens der A. in A Stadt in einem Umfang von einer Stunde täglich, vorläufig ab dem 01.02.2016, längstens bis zu einer Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache, zu übernehmen. Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten für eine persönliche Assistenz während des Besuchs eines Kindergartens.

Der 2011 geborene Antragsteller leidet seit seiner Geburt an einer Oesophagusatresie mit Tracheafistel, einer Fehlbildung der Luft- und Speiseröhre. Diese hat zur Folge, dass es bei dem Antragsteller zu Schluckstörungen bei der Nahrungsaufnahme kommt, sofern die Speisen nicht genügend zerkleinert werden, insbesondere, wenn der Antragsteller faseriges Obst oder Gemüse zu sich nimmt. Die Schluckstörungen wiederum sind mit einer Gefahr des Verschluckens des Antragstellers und damit einhergehender Luftnot verbunden. Dem Antragsteller wurde die Pflegestufe 1 zuerkannt, die zuständige Pflegekasse gewährt dem Antragsteller ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 244,00 €. Der Antragsteller lebt bei seiner Mutter und gesetzlichen Vertreterin, welche alleinerziehend ist. Die Mutter des Antragstellers bezieht zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Leistungen nach dem SGB II.

Mit Antrag vom 01.03.2014 begehrte der Antragsteller von dem Antragsgegner die Übernahme der Kosten für seine Einzelintegration in dem Kindergarten der A. in A-Stadt, welcher in der Trägerschaft der Beigeladenen geführt wird. Der Antragsteller besucht diese Einrichtung seit dem 01.09.2014 täglich in dem Zeitraum von 8:30 Uhr bis 13:00 Uhr. Im Zusammenhang mit der Antragstellung wurden mehrere ärztliche Berichte der Klinik für Kinderchirurgie der Klinikum K. GmbH aus den Jahren 2011 bis 2013 vorgelegt, welche die vorgenannte Erkrankung des Antragstellers bestätigen.

Der Antragsgegner wandte sich daraufhin zunächst an seinen Fachdienst Gesundheit mit der Bitte um Erstellung einer sozialmedizinischen Stellungnahme zwecks Prüfung des Bestehens der Voraussetzungen der §§ 53 und 54 SGB XII . In seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 26.05.2014 diagnostizierte der Fachdienst Gesundheit des Antragsgegners neben den vorgenannten Erkrankungen auch eine Entwicklungsverzögerung des Antragstellers. Weiterhin wurde dort ausgeführt, dass eine Integrationsmaßnahme dringend notwendig sei, da der Antragsteller aufgrund seiner Schluckstörung eine dauernde Überwachung benötige. Die Integrationsmaßnahme werde aus ärztlicher Sicht befürwortet.

Hierauf gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 15.08.2014 Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII im Umfang einer Pauschale für die Integrationsmaßnahme aufgrund des Besuchs des Antragstellers in der oben genannten Kindertagesstätte der Beigeladenen für den Zeitraum 01.09.2014 bis 31.07.2015 in Höhe...

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