Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.07.2002; Aktenzeichen B 9 VG 4/01 R)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Der 1963 geborene Kläger beantragte am 05.09.1995 die Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen der Folgen eines Vorfalles am 04.03.1995 gegen 0.45 Uhr in der C-Straße in A-Stadt vor einem Kellerlokal, mit dessen Wirtin er befreundet ist. Er machte „Nervenschäden nach Schussverletzung der rechten Leiste" geltend und fügte verschiedene Krankenunterlagen bei. Außerdem gelangte ein Bescheid vom 12.02.1999 zur Akte, worin nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie das Merkzeichen „G" festgestellt worden war.

Der Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Gießen (Az. 51 Ls 3 Js 5161.5/95) bei. Der Täter H. R. wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit einem Waffendelikt zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten auf Bewährung verurteilt.

Nach dem Inhalt der Ermittlungsakten kam es nach Aussagen sämtlicher Zeugen in dem Lokal zunächst zu einer zumindest verbalen Auseinandersetzung zwischen dem als Gast anwesenden und alkoholisierten Täter und dem Kläger, der als Freund der Wirtin möglicherweise für Ruhe sorgen wollte. Die Auseinandersetzung verlagerte sich dann aus dem Kellerlokal hoch auf die Straße, wobei der Täter eine mitgeführte geladene Pistole zog und den Kläger damit bedrohte. Aus der Waffe fielen insgesamt vier Schüsse, wovon der dritte Schuss die Verletzung des Klägers verursachte, der Schusskanal verlief laut Aussage des Gerichtsmediziners von oben nach unten. Die beiden ersten Schüsse gingen unstreitig in die Luft, ebenso der vierte Schuss. Direkte Zeugen des Geschehens vor dem Lokal waren der Täter H. R., der Kläger sowie die weiteren Gäste D. und F., außerdem der Passant G. Zum Zeitpunkt des dritten Schusses befanden sich bereits sämtliche Zeugen vor dem Lokal, der Zeuge F. versuchte, dem Täter die Waffe wegzunehmen und griff zu diesem Zweck nach dessen Arm. Zu dem Schusswechsel machten die Zeugen zum Teil unterschiedliche Angaben.

Durch Bescheid vom 07.04.1998 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab, da keine vorsätzliche Tat vorgelegen habe. Zur Begründung seines hiergegen fristgerecht eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, es müsse zumindest bedingter Vorsatz angenommen werden, da der Täter die Gefährlichkeit der Waffe habe erkennen müssen. Durch Widerspruchsbescheid vom 27.07.1998 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, es könne dahinstehen, ob bedingter Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorgelegen habe, da jedenfalls Versagungsgründe gemäß § 2 OEG insoweit vorlägen, als der Kläger den Vorfall hätte vermeiden können.

Der Kläger hat hiergegen am 06.08.1998 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben.

Er trägt vor, wer - wie der Täter - mit entsicherter Waffe aus 1 bis 2 m Abstand auf eine Person ziele und bereits zweimal geschossen habe, für den sei erkennbar, dass es „nicht ganz fern liegend" sei, dass sich aus der entsicherten Waffe ein weiterer Schuss löse und eine der in unmittelbarer Nähe befindlichen Personen verletzt werde. Wenn der Täter in diesem Moment die Schusswaffe weder einstecke noch sichere, so handele er in Bezug auf die Körperverletzung einer der umstehenden Personen mit bedingtem Vorsatz. Im Übrigen lägen keine Versagungsgründe vor. Der Kläger habe den Täter nur nach oben begleitet, um sich zu vergewissern, dass dieser das Lokal endgültig verlassen würde und um ihn davon zu überzeugen, nach Hause zu gehen. Das Begleiten des R. die Treppe hinauf auf die Straße sei weder vernunftswidrig noch grob fahrlässig gewesen, insbesondere habe er nicht damit rechnen müssen, dass R. - auf der Straße angekommen - eine Waffe ziehen und von dieser Gebrauch machen würde. Anhaltspunkte dafür hätten sich aus dessen vorherigem Verhalten im Lokal nicht ergeben. Im Übrigen reiche es nicht aus, wenn sich der Geschädigte in eine gefährliche Situation gebracht habe, sich aber ansonsten innerhalb eines legalen Rahmens bewegt habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 07.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.1998 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 01.09.1995 Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 50 v.H. in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die bisher getroffenen Feststellungen für zutreffend. Außerdem sei bislang der Nachweis der Voraussetzungen des § 1 OEG nicht erbracht worden.

Zur Beweiserhebung hat das Gericht die Schwerbehindertenakte des Klägers bei dem Beklagten sowie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten beigezogen. ...

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