Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattungsanspruch. Notfallbehandlung im Ausland (hier: Türkei). Beschränkung auf die nach türkischem Recht zu gewährenden Leistungen. kein weitergehender Anspruch aus § 13 Abs 3 SGB 5
Orientierungssatz
In Deutschland lebende Versicherte, die in der Türkei erkranken und dem SozSichAbk TUR unterfallen, sind grundsätzlich auf das beschränkt, was ihnen das türkische Recht an Sachleistungen bzw sie ersetzenden Erstattungsansprüchen zur Verfügung stellt. Bleiben die nach türkischem Recht vorgesehenen Leistungen hinter dem zurück, was das deutsche Recht gewährt, begründet nicht bereits dieses Leistungsgefälle einen Kostenerstattungsanspruch mit dem Ziel, über die Leistungsaushilfe hinaus das Niveau "deutsche Krankenversicherung" herzustellen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung in Höhe von 11.667,59 € (11.747,59 € abzüglich 80,00 € Eigenanteil) für eine Behandlung in einer Privatklinik während eines Urlaubs in der Türkei.
Die Klägerin (geb. 1931) machte von Mai bis Juni 2016 in der Türkei Urlaub. Bei einem Ausflug am 04.06.2016 von Alanya über Side ins Taurus-Gebirge (ca. 150 km vom Hotel entfernt) wurde sie bewusstlos und war nicht ansprechbar. Sie wurde nach 30- bis 40-minütiger Fahrt in das C., eine Privatklinik, eingeliefert. Auf der dortigen Intensivstation wurde ein Herzschrittmacher eingesetzt. Das ca. 6 km (12 Minuten Fahrzeit) entfernt vom C. liegende staatliche Krankenhaus „D. Hospital“ verfügte im streitigen Zeitraum nicht über eine Kardiologie-Chirurgie (vgl. Bestätigung von Dr. med. E., stellvertretender Chefarzt des Staatskrankenhauses D., vom 24.04.2018). Für die Krankenbehandlung stellte das C. mit Datum vom 11.06.2016 13.000,00 € in Rechnung. Den Betrag beglich die Klägerin mit Hilfe Verwandter vor Entlassung.
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten die vollständige Erstattung dieser Kosten. Die Beklagte ermittelte beim staatlichen türkischen Krankenversicherungsträger (Sosyal Güvenlik Kurumu Baskanligi - SGK -), dass für eine Sachleistungsgewährung in der Türkei 4.100 TL - umgerechnet 1.252,41 € - angefallen wären. Mit Bescheid vom 10.08.2016 erstattete die Beklagte der Klägerin diesen Betrag unter Ablehnung im Übrigen. Den am 01.09.2016 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie den bewilligten Betrag nicht nachvollziehen könne und bat um detaillierte Aufstellung. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 05.01.2017 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben, die mit Beschluss vom 04.06.2017 an das zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen wurde. Sie macht geltend, erst nachträglich erfahren zu haben, dass es sich um eine Privatklinik handelte. Niemand der Anwesenden habe dem Fahrer ein entsprechendes Ziel benannt. Die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 b) des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens (DT-SVA) seien erfüllt, da sie die Leistung sofort am 04.06.2016 benötigt habe. Selbst wenn Art. 15 DT-SVA den Erstattungsanspruch begrenze, sei der Erstattungsbetrag des ausländischen Versicherungsträgers nicht nachvollziehbar und erscheine in Anbetracht der Implantation eines Herzschrittmachers viel zu gering.Auch hätten weitergehende Ansprüche nach § 13 Abs. 3 SGB V geprüft werden müssen. Die Beklagte wende zu Unrecht Art. 34 der EWG-Verordnung 574/72 an; die Türkei sei nicht Mitglied des europäischen Wirtschaftsraumes. Zu prüfen gewesen sei auch § 13 i.V.m. § 18 SGB V, wonach die Krankenkasse die Kosten für eine erforderliche Behandlung außerhalb des Geltungsbereichs der EU ganz oder teilweise übernehmen könne. Diese Ermessensvorschrift habe die Beklagte nicht geprüft.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2016 zu verurteilen, der Klägerin 11.667,59 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist die Beklagte auf die angegriffenen Bescheide.
Es sei anerkannte Verwaltungspraxis, im Verhältnis zu den bilateralen Abkommenstaaten Kostenerstattungen in analoger Anwendung von Art. 34 der EWG-Verordnung 574/72 über Soziale Sicherheit durchzuführen. Abs. 1 begrenze den Anspruch grundsätzlich auf die „für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Sätze“. Gemeint seien die Vertragssätze abzüglich vorgesehener Eigenbeteiligungen, die für eine vergleichbare Behandlung der eigenen Versicherten entstanden wären. Nach Abs. 2 erteile der Träger des Aufenthaltsortes dem zuständigen Träger (Beklagte) auf dessen Verlangen die erforderlichen Auskünfte über diese Sätze mit. Für den Geltungsbereich des DT-SVA würden hierzu von den Verbindungsstellen für die Krankenversicherung entsprechende Vordrucke festgelegt (im Verhältnis zur Türkei: Vordruck T/A 26). Dieser Vordruck sei am 06.07.2016 an die zuständige SGK des Aufenthalt...