Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung von Kosten im Vorverfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Geschäftsgebühr. Berücksichtigung einer Anrechnung nach Vorbem 2.3 Abs 4 S 1 RVG-VV
Leitsatz (amtlich)
1. Eine nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erstattungspflichtige Behörde hat im Falle einer Anrechnung nach Vorbem. 2.3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG lediglich die nach Anrechnung geminderte Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 Nr. 1 VV RVG zu erstatten.
2. § 15a Abs. 2 RVG steht dem nicht entgegen. Der in den Gesetzesmaterialien geäußerten Auffassung zur Kollision zwischen § 15a Abs. 2 RVG und § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist nicht zu folgen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten eine weitergehende Erstattung von Rechtsanwaltskosten eines Widerspruchsverfahrens.
Der Kläger stand im Leistungsbezug des Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch. Mit Bescheid vom 22. Juli 2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. September 2013 bis 28. Februar 2014. Mit Schreiben vom 21. November 2013 zeigten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Wahrnehmung seiner Interessen sowie eine Änderung der Wohnverhältnisse an. Dabei beantragte der Kläger die Berücksichtigung höherer Kosten der Unterkunft bei der Leistungsberechnung nach dem Umzug in eine kleinere Wohnung. Mit Änderungsbescheid vom 2. Dezember 2013 passte der Beklagte die Leistungshöhe an, berücksichtigte jedoch nicht die tatsächliche Kaltmiete, sondern nahm einen Abzug wegen Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft in Höhe von 35,50 € vor. Hiergegen legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 16. Dezember 2013 Widerspruch ein, dem mit Bescheid vom 17. Januar 2014 in vollem Umfang abgeholfen wurde. Zugleich wurde mitgeteilt, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Kosten auf Antrag erstattet würden.
Mit Kostenrechnung vom 29. Januar 2014 stellten die Prozessbevollmächtigten des Klägers ihm für das Verfahren insgesamt 434,35 € in Rechnung. Konkret berechneten die Prozessbevollmächtigten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG):
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Geschäftsgebühr gem. Nr. 2302 Nr. 1 VV RVG |
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345,00 € |
Post- und Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002 VV RVG |
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20,00 € |
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG |
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69,35 € |
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434,35 € |
Mit Bescheid vom 17. Februar 2014 wurde dem Antrag nur teilweise in Höhe von 202,30 € entsprochen. Im Übrigen wurde eine Erstattung abgelehnt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Geschäftsgebühr könne lediglich in Höhe von 150,00 € berücksichtigt werden. Auszugehen sei von der Schwellengebühr nach Nr. 2302 VV Nr. 1 RVG in Höhe von 300,00 €, da weder eine umfangreiche noch eine schwierige Tätigkeit vorgelegen habe. Daneben sei die Geschäftsgebühr im Verwaltungsverfahren nach Vorbem. 2.3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG zur Hälfte auf die Geschäftsgebühr im Widerspruchsverfahren anzurechnen. Die Prozessbevollmächtigten seien bereits im Verwaltungsverfahren tätig gewesen.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 24. Februar 2014 Widerspruch ein und führte aus, zwar werde die Ansetzung der Schwellengebühr von 300,00 € für die Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 Nr. 1 VV RVG akzeptiert, der Widerspruch richte sich jedoch gegen die Anrechnung der Geschäftsgebühr aus dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren. Der Beklagte könne sich als erstattungspflichtiger Dritter nur in den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Fällen auf eine Anrechnung berufen. Diese Voraussetzungen erfülle der Beklagte nicht. Er habe daher die volle Schwellengebühr nach Nr. 2302 Nr. 1 VV RVG in Höhe von 300,00 € zu erstatten. Die erstattungsfähigen Kosten beliefen sich daher nach korrigierter Rechnung auf 380,80 €.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, ohne sich nochmals konkret mit § 15a Abs. 2 RVG auseinander zu setzen. Die Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr sei zu Rechte erfolgt, da nicht nur eine Tätigkeit im Widerspruchsverfahren vorgelegen habe, sondern auch im vorangegangenen Verwaltungsverfahren. Nach der amtlichen Vorbemerkung sei in diesem Fall eine Anrechnung vorzunehmen.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 4. Juni 2014 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben.
Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, der Gesetzgeber gehe nach der Neustrukturierung der in sozialrechtlichen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren anfallenden Geschäftsgebühren davon aus, dass im Falle der Kostenerstattung die aus dem vollen Rahmen des Vergütungstatbestandes Nr. 2302 Nr. 1 VV RVG geschöpfte Gebühr, d.h. in der Regel die Schwellengebühr von 300,00 €, zu erstatten sei (vgl. Mayer., Anwaltsblatt Heft 7/2013, 270, 271; BT-Drucks. 17/11471 (neu), S. 273). Der Beklagte könne sich als erstattungspflichtiger Dritter im Sinne des § 15a Abs. 2 RVG nicht auf die Anrechnung nach Vorbem. 2.3 Abs. 4 Satz 1 VV...