Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. Ermächtigungsgrundlage. haftungsausfüllende Kausalität. bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. extreme Rumpfbeugehaltung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einführung der BK Nr 2108 ist rechtmäßig und entspricht den Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO
2. Als extreme Rumpfbeugehaltung iS der Berufskrankheit Nr 2108 der Anlage der BKV sind auch Arbeiten im Knien im unteren Wandbereich (Piktogramm 22 der Belastungsdokumentationen der Bau-Berufsgenossenschaften) aufgrund ihrer biomechanischen Belastung anzusehen.
3. Die bei den Wirbelsäulen-Berufskrankheiten erforderliche individuelle Kausalitätsbeurteilung zwischen beruflicher Belastung und Erkrankung muß vor allem aufgrund folgender Kriterien erfolgen:
1. Die berufliche LWS-Belastung nach Art und Ausmaß sowie Eignung zur Verursachung der konkreten LWS-Erkrankung hinsichtlich Art und Ausprägung, Lokalisation und Erkrankungsverlauf,
2. die Berücksichtigung bzw den Ausschluß anderer Ursachen wie - Schadensanlagen (statische, entzündliche, unfallbedingte), - außerberufliche Wirbelsäulenbelastungen.
Diese Ursachen müssen jedoch feststehen und dürfen nicht nur vermutet werden.
4. Ein Teil der verschiedentlich verwandten (Hilfs-)Kriterien (zB Schadensbild, monosegmentaler Vorfall, (nicht altersentsprechende Wirbelsäule, Erkrankung anderer Wirbelsäulenabschnitte usw) hält einer kritischen Überprüfung nicht stand.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nur noch um die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule -- LWS) nach der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bei dem im Laufe des Verfahrens verstorbenen Ehemann der Klägerin (im folgenden: der Versicherte) sowie die Zahlung einer Verletztenrente aufgrund dieser BK.
Der 1941 geborene Versicherte hat nach einer Lehre als Fliesenleger ab 01.04.1956 anschließend als solcher bis zum 31.07.1973 gearbeitet und war auch danach als selbständiger Fliesenleger-Meister bei der Beklagten versichert. Seit dem 16.12.1988 war er zunächst arbeitsunfähig erkrankt, bezog anschließend eine Erwerbsunfähigkeitsrente und ist am 16.08.1996 verstorben.
Ein erster Antrag des Versicherten vom 12.07.1990 an die Beklagte auf Rente wegen arbeitsbedingter Berufsunfähigkeit wurde von dieser mit formlosem Schreiben vom 12.04.1991 abgelehnt, da weder die Voraussetzungen für eine Listen-BK nach § 551 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch für eine BK gemäß der Öffnungsklausel des § 551 Abs. 2 RVO vorliegen würden.
Nach einem Antrag des Versicherten vom 15.04.1993 auf Überprüfung der Entscheidung wegen der zwischenzeitlichen Aufnahme der Wirbelsäulen-BKen in die Berufskrankheiten-Verordnung nahm die Beklagte als zuständiger Unfallversicherungsträger ihre Ermittlungen auf und zog bei:
- Auskünfte des Versicherten,
- eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom
07.06.1994 mit der Belastungsdokumentation "Fliesenleger, Stand 10.93", nach der die beruflichen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 aufgrund eines Zeitanteils von 10% für Hebe- und Tragetätigkeiten und 30% für Tätigkeiten in Rumpfbeugehaltung bejaht, die für die BK Nr. 2109 aber verneint wurden,
- das Vorerkrankungsverzeichnis des Versicherten von dessen Krankenkasse,
- Unterlagen der behandelnden Ärzte (Dr. H, A; Prof.,
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik F (BGU); Dr. H u.a., Dr. S, B, Dr. C, F; Dr. K, F; Prof. R, Universitätsklinik H),
- Auszüge aus den Akten der Landesversicherungsanstalt Hessen und des
Versorgungsamtes G über den Versicherten,
- ein unfallchirurgisches Gutachten von Dr. H, F, vom 23.08.1994, der die
medizinischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 beim Versicherten verneinte,
- eine Stellungnahme des Landesgewerbearztes vom 14.09.1994, der die
Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 beim Versicherten bejahte und den Verschlimmerungsanteil auf 10% schätzte.
Mit Bescheid vom 19.10.1994 lehnte die Beklagte gegenüber dem Versicherten die Anerkennung einer BK Nr. 2108 ab, weil die medizinischen Voraussetzungen nach dem Gutachten von Dr. H nicht erfüllt seien, die einer BK Nr. 2109, weil die beruflichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Der hiergegen am 04.11.1994 eingelegte Widerspruch wurde mit der Stellungnahme des Landesgewerbearztes und einem Attest von Dr. H begründet. Nach Einholung einer Stellungnahme von Dres. L/B vom 26.03.1995, die die beruflichen Voraussetzungen auch für die BK Nr. 2108 verneinten, weil die knienden Arbeitshaltungen in den Piktogrammen 21 und 22 der Belastungsdokumentation "Fliesenleger" entgegen der Auffassung des TAD keine extreme Rumpfbeugehaltung darstellten, wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.1995 zurückgewiesen, weil keine ausreichende wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeübt worden sei.
Mit der am 11.09.1995 erhobenen Klage hat zunächst der Versicherte, später seine Rechtsnachfolgerin unter Hinweis auf die erheblichen körperlichen Belastungen des Versicherten und die extre...