Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrentenanspruch. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe. eheähnliche Lebensgemeinschaft. Motive der Eheschließung. konkrete Krankengeschichte
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn neben dem Versorgungszweck ein zumindest gleichgewichtiges anderes Motiv für eine Eheschließung zur Überzeugung des Gerichts feststeht, ist die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt.
2. Ein derartiger gleichwertiger weiterer Zweck kann sein, dass es den Beteiligten mit der Eheschließung darum geht, nach langjährigem Zusammenleben die bestehende Liebesbeziehung - auch im Interesse des aus der Verbindung hervorgegangenen Kindes - formal zu bekräftigen.
3. Zu berücksichtigen ist neben den Begleitumständen auch die konkrete Krankheitsgeschichte - hier: hohe Überlebenswahrscheinlichkeit im Fall einer Transplantation.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2006 verurteilt, der Klägerin ab 04.02.2005 große Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente hat.
Die am … 1944 geborene Klägerin ist Witwe des am … 1945 geborenen und am 22.01.2005 verstorbenen Versicherten (Im Folgenden: Versicherter). Die Klägerin bezieht seit September 2004 Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die sich zwischenzeitlich auf 703,82 Euro brutto (638,02 Euro netto) beläuft. Darüber hinaus erhält sie Kindergeld in Höhe von etwa 154 Euro. Die Klägerin lebt in einem kleinen Haus, das ihr von ihrem Vater übertragen wurde und für das sie nach ihren Angaben weder Miete noch Abtrag zu zahlen hat.
Im April 1968 schloss die Klägerin erstmals die Ehe mit dem Versicherten. Aus dieser Ehe, die bis August 1973 andauerte und dann insbesondere aufgrund des übermäßigen Alkoholkonsums des Versicherten rechtskräftig geschieden wurde, resultiert ein gemeinsamer Sohn, der am … 1968 geboren wurde und an einer geistigen Behinderung leidet. Im Rahmen der Scheidung wurde der Klägerin für den Sohn das alleinige Sorgerecht übertragen. In der Folgezeit lebten die Klägerin und der Versicherte etwa ein halbes Jahr getrennt. Dann zogen sie nach Angaben der Klägerin wieder zusammen und lebten in den folgenden Jahren in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.
Im Jahr 1992 erkrankte der Versicherte an einer Hepatitis B und in der Folgezeit weiter an einer Hepatitis C. Im Jahr 1999 wurde bei ihm eine alkoholische Leberzirrhose festgestellt.
Aufgrund dieser Erkrankung war der Kläger am 02.09.2004 und am 01.10.2004 ambulant in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums J. vorstellig.
Am 15.10.2004 schlossen die Klägerin und der Versicherte erneut die Ehe.
Vom 16.10. bis 05.11.2004 erfolgte eine stationäre Behandlung des Versicherten in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums J . Dabei wurde der Versicherte insbesondere im Hinblick auf etwaige Kontraindikationen zu einer Lebertransplantation untersucht. In der entsprechenden Epikrise vom 02.12.2004, auf die verwiesen wird, wird in der sog. “Vorgeschichte„ unter anderem ausgeführt, dass nach Angaben des Versicherten seit sechs Monaten eine Alkoholkarenz bestehe. Abschließend heißt es unter “Zusammenfassung und Verlauf„, dass in Zusammenschau der erhobenen Befunde eine schwergradige Leberzirrhose auf dem Boden eines langjährigen Alkoholabusus bestehe. Von Seiten der Untersuchungsbefunde sowie der Patienten- compliance ergäben sich keine Kontraindikationen zur geplanten Lebertransplantation. Nach einem orientierenden Aufklärungsgespräch über den Stand der Untersuchungen sowie das geplante Procedere sei der Versicherte in die ambulante Weiterbehandlung entlassen worden.
Im Januar 2005 erkrankte der Versicherte dann an einer abszedierenden Pneumonie. Es erfolgte eine Drainage der Abszesshöhle. Am 22.1.2005 kam es zu einer fulminanten Öso-phagusvarizenblutung, an der der Versicherte verstarb.
Am 04.02.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer großen Witwenrente nach § 46 Sozialgesetzbuch (SGB) - Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung -.
Die Beklagte holte daraufhin eine Auskunft bei dem behandelnden Arzt des Versicherten Dr. K. ein. Dieser bestätigte in seinem Schreiben vom 04.09.2005 unter anderem, dass bei dem Versicherten bereits im Jahre 1999 eine Leberzirrhose diagnostiziert worden sei. Weiterhin seien vor der Hochzeit eine chronische Virushepatitis B und eine Hepatitis C bekannt gewesen.
Ferner holte die Beklagte eine Auskunft bei der AOK Sachsen-Anhalt über die Erkrankungen des Versicherten in den Jahren 2003 und 2004 ein. Auf die entsprechende Auskunft vom 21.09.2005 nebst Anlagen wird Bezug genommen (Bl. 100 bis 110 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 23.09.2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. ...