Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung. Ausschlusswirkung des § 275 Abs 1c SGB 5
Leitsatz (amtlich)
Die Ausschlusswirkung des § 275 Abs 1c SGB 5 beschränkt sich auf Umstände, die einer Überprüfung durch den MDK zugänglich sind.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 612,24 € nebst 5% Zinsen aus 603,74 € seit dem 02.12.2010 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten.
Der Streitwert wird auf 612,24 € festgesetzt.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Behandlung einer Versicherten der Beklagten in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus stationär erfolgt und entsprechend zu vergüten ist.
Die am XXX1980 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Frau S.H. (i.F.: Versicherte) wurde am 30.10.2010, 23:26 mit dem Rettungswagen in ein von der Klägerin betriebenes Krankenhaus (hier: Klinik H.) gebracht. Zu diesem Zeitpunkt litt sie an starken, kolikartigen Schmerzen im Bereich der rechten Niere; es bestand Verdacht auf einen obstruierenden Ureterstein (Harnleiterstein). Der Verlaufsbericht des Behandlungsteam verzeichnet Einträge vom 31.10.2010, 02:00 Uhr und 07:00; im Verlauf des 31.10.2010 erfolgten noch eine Ultraschalluntersuchung sowie eine Computertomografie. Entlassen wurde die Versicherte am 31.10.2010, 18:49 Uhr.
Die Klägerin verlangte von der Beklagten mit Rechnung vom 10.11.2010 zunächst einen Betrag von 603,74 Euro. Die Beklagte verweigerte die Begleichung mit der Begründung, es habe keine vollstationäre Behandlung vorgelegen, da die Versicherte nicht mindestens 24 Stunden im Krankenhaus behandelt worden sei. Der MDK wurde nicht eingeschaltet.
Am 11.02.2011 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin führt aus, eine Mindestaufenthaltsdauer von 24 Stunden ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus der einschlägigen Rechtsprechung des BSG. Die ursprüngliche Forderung sei um weitere 8,50 Euro zu erweitern, da das Verwaltungsverfahren zum Einzug der Eigenbeteiligung habe betrieben werden müssen. Im Übrigen sei eine inhaltliche Überprüfung ihrer Rechnung ausgeschlossen, da die Frist aus § 275 Abs. 1c Satz 2 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) verstrichen sei, ohne dass die Beklagten den MDK eingeschaltet habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 612,24 € nebst 5% Zinsen aus 603,74 seit dem 02.12.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie entnimmt dem Urteil des BSG vom 04.03.2004 (B 3 KR 4/03 R), dass eine vollstationäre Behandlung eine tatsächliche Aufenthaltsdauer des Versicherten von 24 Stunden voraussetze. Die Formulierung des BSG, wonach die Behandlung sich über einen Tag und eine Nacht erstrecken müsse, könne bei herkömmlicher Betrachtungsweise nicht anders verstanden werden. Auf die Erforderlichkeit der Behandlung komme es somit nicht mehr an. Auch § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V könne der Klage nicht zum Erfolg verhelfen, da diese Vorschrift das Amtsermittlungsprinzip jedenfalls im gerichtlichen Verfahren nicht einschränke.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Prozessakte sowie die beigezogenen Akten beider Beteiligter verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und mit dem zuletzt gestellten Antrag auch begründet.
A.) Die Klage ist statthaft als echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz, SGG); sie ist nicht fristgebunden und eines Vorverfahrens bedurfte es nicht.
B.) Die Klage ist mit dem zuletzt gestellten Antrag auch begründet.
I.) Die Klage ist - hinsichtlich der Vergütungsforderung - indes nicht schon deswegen begründet, weil die Rechnung der Klägerin aufgrund des Verstreichens der Frist aus § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V durch das Gericht nicht mehr überprüfbar wäre. Das Gericht sieht sich nicht durch § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V an der Nachprüfung gehindert, ob die erfolgte Behandlung des Versicherten als stationäre oder ambulante Behandlung zu vergüten ist.
1.) Bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V ist eine Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der erbrachten Leistung durch den MDK zeitnah durchzuführen, § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V. Die Prüfung ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen, § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V.
2.) Die Vorschrift wird in der Rechtsprechung überwiegend dahingehend verstanden, dass die Krankenkasse nach Ablauf der von Amts wegen zu beachtenden Ausschlussfrist des § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V keine medizinischen Einwendungen mehr vorbringen kann (SG Darmstadt, Urteil vom 20.05.2010, S 18 KR 344/08, juris, Rn. 20). Soweit der Vorschrift damit eine Präklusionswirkung zukommt, ist sie als Ausnahmevorschrift eng auszulegen (vgl. allgemein BVerfGE 69, 126, 136 f.). Teil dieser engen Auslegung ist insbesondere der allge...