Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Zumutbarkeit des Einsatzes von Einkommen über der Einkommensgrenze. schwerstpflegebedürftige Person
Leitsatz (amtlich)
Bei der Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege an schwerstpflegebedürftige Personen ist nach § 87 Abs 1 S 3 SGB 12 ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von maximal 40% zumutbar. § 87 Abs 1 S 3 SGB 12 findet auch auf schwerstpflegebedürftigen Personen Anwendung, die kein Pflegegeld nach § 64 Abs 3 SGB 12 erhalten.
Orientierungssatz
Vor der Bestimmung des konkret einzusetzenden Einkommens anhand der Zumutbarkeitsgrenze (40%) sind jedoch besondere Belastungen (hier Darlehenstilgung zur Finanzierung Eigenheim) von dem die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommen abzuziehen. Als besondere Belastungen iS von § 87 Abs 1 S 2 SGB 12 sind finanzielle Verpflichtungen zu verstehen, die entweder vor Eintritt der Bedarfssituation eingegangen worden sind oder während des Bedarfs unausweichlich auftreten.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 5.9.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.3.2006 verpflichtet, der Klägerin Leistungen der Hilfe zur Pflege in einer Einrichtung für den Monat Juni 2005 zu gewähren und dabei das nach Abzug der besonderen Belastungen verbleibende Einkommen über der Einkommensgrenze nur zu 40% zu berücksichtigen.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe das über der Einkommensgrenze liegende Einkommen der Klägerin bei der Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) einzusetzen ist.
Die 1957 geborene Klägerin lebte mit ihrem Ehemann und den beiden 1984 und 1989 geborenen Söhnen in einem Eigenheim, für dessen Erwerb die Klägerin und ihr Ehemann im Jahr 1999 einen Kredit aufgenommen hatten, der durch monatliche Zahlungen getilgt wird. Im April 2005 erlitt die Klägerin einen Herzstillstand. Seitdem liegt sie im Wachkoma, seit dem 15.6.2005 ist sie im Pflegeheim A. stationär untergebracht. Für diese Unterbringung entstehen Kosten in Höhe von monatlich 3.205,96 € für Pflegeleistungen der Pflegestufe III, 635,47 € für Unterkunft und Verpflegung (abzüglich eines Betrags von 55,06 € für ersparte Aufwendungen, da die Klägerin Sondennahrung erhält) sowie 149,67 € für Investitionskosten (Daten von Juni 2005). Hiervon zahlt die Pflegeversicherung 1.432,00 €, die Investitionskosten wurden von der Beklagten nach § 12 des Landespflegegesetzes übernommen. Die Klägerin erhält Krankengeld in Höhe von 1.352,40 €, ihr Ehemann hat ein monatliches Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit in leicht schwankender Höhe von ca. 1.700,00 € netto. Der ältere Sohn hatte zum damaligen Zeitpunkt ein Erwerbseinkommen in Höhe von 400,00 € monatlich.
Am 17.6.2005 beantragte der Ehemann der Klägerin als deren Betreuer Leistungen der Sozialhilfe bei der Beklagten, insbesondere hinsichtlich der durch die Pflegeversicherung nicht gedeckten Heimkosten. Mit Bescheid vom 5.9.2005 bewilligte die Beklagte Leistungen der Hilfe zur Pflege in einer Einrichtung nach dem SGB XII für den Monat Juni 2005. Dabei wurde ein Eigenbeitrag in Höhe von 70 % des nach Abzug der besonderen Belastungen verbleibenden Einkommens über der Einkommensgrenze festgesetzt. Unter Berücksichtigung dieses Beitrags wurden Leistungen in Höhe von 67,61 € gewährt.
Mit Schreiben vom 19.9.2005 erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Widerspruch gegen diesen Bescheid. Es sei nicht klar, ob bei den angesetzten Kosten der Unterkunft die Kosten für Müllabfuhr, Grundsteuer, Schornsteinfeger und Feuerkasse berücksichtigt worden seien. Außerdem müsse die Glasversicherung Berücksichtigung finden. Der Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze zu 70% sei rechtswidrig. Hier sei eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der gemäß § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ein Einsatz von 40% das Maximum sei. Ferner seien die Fahrkosten des Ehemanns der Klägerin für seinen Arbeitsweg zu Unrecht nicht in die Berechnung mit eingeflossen. Schließlich sei eine häusliche Ersparnis der Klägerin berücksichtigt worden, ohne dass das in § 88 Abs. 1 SGB XII vorgesehene Ermessen ausgeübt worden sei.
Mit Schreiben vom 23.11.2005 teilte die Beklagte mit, dass sie eine Neuberechnung der Leistungen durchgeführt habe und sich hieraus eine Nachbewilligung ergebe. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.3.2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. In einer Neuberechnung im Rahmen des Abhilfeverfahrens seien die Wohnungskosten um die im Widerspruch geltend gemachten zusätzlichen Kosten korrigiert worden. Glasbruchversicherung und Fahrtkosten seien berücksichtigt worden. Statt 70% würden nunmehr 60% des Einkommens über der Einkommensgrenze zum Ansatz gebracht werden. Eine weitere Reduzierung des einzusetzenden Einkommens über der Einkommensgrenze sei nicht vorzunehmen. Bei der Bestimmung des e...