Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs zur Bewilligung von Opferentschädigung
Orientierungssatz
1. Die Bewilligung von Opferentschädigung setzt nach § 1 Abs. 1 OEG den Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs voraus.
2. Die Angaben allein des Geschädigten reichen nicht aus, um den erforderlichen Beweis zu führen.
3. Im Übrigen ist es nach den Härtefallvoraussetzungen des § 10a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OEG erforderlich, dass allein auf der Gewalttat beruhende Schädigungsfolgen mit einem Grad der Schädigung von wenigstens 50 zu bewerten sind.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsrecht.
Die 1947 geborene Klägerin stellte am 16.9.2013 einen Antrag auf Versorgung für Geschädigte nach dem Opferentschädigungsgesetz. Mit ihrem Antrag machte sie geltend, vom 9. bis ca. zum 11. Lebensjahr von ihrem Stiefvater missbraucht worden zu sein. Ihr Stiefvater sei deswegen zu mindestens zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Unterlagen hierzu seien nicht mehr vorhanden, Zeugen der Tat ebenso wenig, da ihre Großmutter, Mutter und die Klavierlehrerin verstorben seien. Sie habe mit 20 Jahren versucht, sich das Leben zu nehmen und sei in die Psychiatrie nach E. eingeliefert worden. Krankenhausberichte hierüber sind nicht mehr vorhanden. Ermittlungen der Beklagten u.a. beim Universitätskrankenhaus E. und dem Staatsarchiv blieben erfolglos. Mit Bescheid vom 3.4.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz ab. Zur Begründung führte sie aus, die von der Klägerin genannten Taten seien nicht nachgewiesen worden. Eine staatsanwaltliche Ermittlungsakte habe fast 55 Jahre nach der vermeintlichen Verurteilung nicht mehr beigezogen werden können und Zeugen seien für die Tat nicht mehr vorhanden, da diese bereits verstorben seien. Es lägen daher ausschließlich die Angaben der Klägerin vor, die sehr dürftig und wenig aussagekräftig seien. Die Beweiserleichterung nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-Vfg.) könne der Klägerin nicht zugutekommen, da die Klägerin für den Umstand, dass ein Nachweis zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gelinge, nicht schuldlos sei. Denn sie habe den Antrag auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsrecht erst rund 55 Jahre nach den vermeintlichen Vorfällen aus den Jahren 1956-1958 gestellt, die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft seien zu diesem Zeitpunkt bereits vernichtet worden und vorhandene Zeugen seien verstorben und stünden aus diesem Grunde nicht mehr zur Verfügung. Auch die Härtefallvoraussetzungen des § 10a OEG seien nicht erfüllt, da die Klägerin nicht allein infolge der Schädigung mit einem GdB von 50 schwerbeschädigt sei. Denn vom Versorgungsamt Hamburg sei für die Klägerin nach dem Schwerbehindertenrecht nur ein GdB von 20 für psychische Leiden anerkannt.
Mit Bescheid vom 17.1.2014 wurde bei der Beklagten durch das Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt. Hierbei berücksichtigte die Beklagte eine Herzleistungsminderung mit einem Teil GdB von 30 und die psychische Störung mit einem Teil GdB von 20.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, als Zeugin nunmehr ihre jüngere Schwester, die ebenfalls von demselben Täter, deren Vater, nach dessen Zuchthausaufenthalt missbraucht worden sei, benennen zu können. Die Halbschwester der Klägerin erklärte mit Schreiben, eingegangen bei der Beklagten am 4.12.2014, im Wesentlichen, den Missbrauch der Klägerin nicht mitbekommen zu haben. Sie habe aber schon bemerkt, dass ihr Vater die Klägerin gegriffen, ins Zimmer gebracht und etwas mit ihr gemacht habe. Die Beklagte ermittelte weiter, holte insbesondere Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein und beauftragte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau A. mit der Erstellung eines Gutachtens. Frau A. untersuchte die Klägerin am 21.8.2015. In ihrem Gutachten vom 27.6.2015 stellte sie u.a. fest, dass im Rahmen dieser Begutachtung keine kausal auf die angezeigte schädigende Tat zurückzuführenden klar abgrenzbaren Schädigungsfolgen festgestellt werden könnten. Die Beschwerden und die Schwierigkeiten der Klägerin seien als Ausdruck einer vor allem strukturellen Störung mit jetzt im Alter aufgrund der starken körperbezogenen Angst erklärbar und könnten jetzt nicht mehr kompensiert werden. Sie teile insoweit die Einschätzung der die Klägerin behandelnden Ärzte. Zur Entwicklung der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit vor allem abhängigen Anteilen hätten zum einen der sexuelle Missbrauch, jedoch auch die anderen Umgebungsfaktoren beigetragen. Eine Gewichtung der Anteile der einzelnen Umweltfaktoren an dem aktuell feststellbaren Störungsbild lasse sich aus heutiger Sicht nicht mehr treffen. Wegen des weiteren Inhalts des psychiatrischen Gutachtens wird auf Seiten 172 - 184 der Ver...