Tenor

Der Bescheid vom 12.06.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2013 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 OEG geworden ist und dass Versagungsgründe nach § 2 OEG nicht vorliegen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i.S. des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) geworden ist und ob Versagungsgründe nach § 2 OEG vorliegen.

Der 1970 geborene Kläger beantragte am 02.08.2010 durch seinen gerichtlich bestellten Betreuer bei der Beklagten Versorgung nach dem OEG. Er gab an, am 29.05.2010, um 23.51h im U-Bahnhof N. bei einer Auseinandersetzung mit zwei Tätern schwer verletzt worden zu sein. Der Kläger ist gelernter KFZ-Mechaniker. Im Zeitpunkt der Schädigung studierte er Fahrzeugbau und arbeitete geringfügig beschäftigt im Kfz-Betrieb des Bruders, den er vor Aufnahme des Studiums gemeinsam mit dem Bruder geführt hatte.

Zur Tat gab der Betreuer an, der Kläger habe nach einem Stadtteilfest mit seiner Freundin Anja B. (B.) auf die U-Bahn gewartet. Die Täter seien vorübergegangen und hätten Passanten belästigt, auch die Freundin des Klägers. Der Kläger sei aufgestanden und auf die beiden zugegangen. Der eine Täter habe den Kläger sofort, ohne Vorwarnung in den Bauch getreten. Es habe ein Handgemenge geben, bei dem beide Täter auf den Kläger eingeschlagen hätten. Der Kläger habe versucht, sich zu wehren und dabei einen Faustschlag gegen das Kinn bekommen. Er sei k.o. zu Boden gefallen und mit dem Kopf aufgeschlagen.

Der Kläger erlitt ein Schädelhirntrauma 3. Grades und ein Frontalhirnsyndrom sowie multiple Mittegesichtsfrakturen. Für den Kläger ist ein Grad der Behinderung von 80 und es sind die Merkzeichen G und B festgestellt.

Die Beklagte zog die Akte der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg (3490 Js 79/10 V) bei. Das Landgericht Hamburg verurteilte am 06.12.2010 (628 KLs 12/10 3490 Js 79/10) den 1977 geborenen k. Staatsangehörigen H. und den 1980 geborenen d. Staatsangehörigen W. wegen unterlassener Hilfeleistung. H. und W. sind vorbestraft. H. wegen Verkehrsdelikten, Raubes, der Abgabe und des Besitzes von Betäubungsmitteln und W. wegen Verstoßes gegen Waffengesetze, Diebstahls, Bedrohung, Beleidigung, versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung. Alle an der Auseinandersetzung Beteiligten waren im Zeitpunkt der Tat alkoholisiert. Das Landgericht benennt einen Blutalkoholgehalt von 1,7 - 2,7 ‰ für W., von 1,2 - 2,0 ‰ für H. und von mind. 1,0 ‰ für den Kläger. Nach der rechtsmedizinischen körperlichen Untersuchung des W. am 31.05.2010 konnten bei ihm weder aktive noch passive Abwehrverletzungen festgestellt werden. Über eine Untersuchung des H. liegt kein Bericht vor. Verletzungen werden nicht berichtet.

Das Landgericht hat das Handeln der Angeklagten als gerechtfertigt angesehen. Es hat seine Entscheidung auf die Bewertung der Aussagen der 1994 geborenen Schülerin Bn der 1981 geborenen Bb des 1994 geborenen Schülers A., der 1971 und 1963 geborenen Eheleute D. und H1 und von B. sowie auf die Aussagen der Angeklagten und die Auswertung der Aufnahmen der Videoüberwachungskameras am U-Bahnhof N. gestützt. Zur Tat wird in dem Urteil (Seiten 10 und 11) ausgeführt, W. habe auf dem Bahnsteig zunächst Bb. und anschließend Bn. angesprochen bzw. sich laut und für die Umstehenden hörbar gegenüber H. über beide geäußert. Bb. habe sich, um nicht weiter angesprochen zu werden, in die wartende U-Bahn gesetzt, woraufhin W. sich übergangslos Bn. und vielleicht auch der neben ihr sitzenden B. zugewandt habe. Bn. habe es als "freche Anmache" empfunden. Ihr sei die Situation unangenehm gewesen. Das Verhalten des W. sei ihr asozial, obszön und provokativ erschienen. Weiter heißt es in dem Urteil (Seite 20): "Nicht aufgeklärt werden konnte mit letzter Sicherheit, ob ein tätlicher Angriff des R. gegen W. tatsächlich unmittelbar bevorstand, oder aber ob R. nur deshalb mit erhobenen Fäusten auf W. zuging, um diesen zur Rede zu stellen oder durch sein bloßes Auftreten zu beeindrucken, dass dieser weitere verbale Äußerungen unterlassen würde." Das Landgericht sieht folgende Anhaltspunkte, die dafür sprächen, dass der Kläger den W. körperlich attackieren wollte: Der Kläger sei unmittelbar vor der Tat in einer aggressiven Grundstimmung gewesen, was sich an seinem Verhalten gegenüber B. beim ersten Betreten des Bahnsteigs und gegenüber einer Gruppe junger Männer gezeigt habe. B. habe, als der Kläger aufstand, die neben ihr auf der Bank sitzende Bn. aufgefordert, die Polizei zu rufen, weil sie einen körperlichen Angriff befürchtet habe. Schließlich führt das Landgericht aus, dass der Kläger, als er auf W. zuging, gesagt haben könnte: "Wenn sie nicht leise sind, kriegen sie einen". Dies stehe aber als Aussage nicht fest, denn nur B. habe diese Aussage bezeugt. Andere Zeugen hätten die Aussage: "...

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