Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301. haftungsbegründende Kausalität. Harnblasenveränderung. bilokuläres Urothelcarcinom. K 1-Stoff. Beta-Naphthylamin. Harnblasenkrebs. MdE-Höhe
Leitsatz (amtlich)
Zur Feststellung eines bilokulären Urothelkarzinoms als Folge einer Berufskrankheit der Nr 1301 der Berufskrankheitenverordnung.
Die BKV enthält keine Grenzwerte für aromatische Amine, bei deren Einhaltung Krebserkrankungen nicht zu befürchten sind bzw bei deren Unterschreitung die Kausalität im Einzelfall auszuschließen ist. Insofern besteht in der medizinischen Wissenschaft auch kein Konsens. Denn es gibt bislang keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen.
Orientierungssatz
Zum Anspruch einer Verletztenrente (operiertes bilokuläre Urothelcarcinom der Harnblase und die als Folge der zahlreichen transurethralen Resektionen und Harnblaseninstillationen entstandene Funktionseinschränkung der linken Niere als Folge einer BK 1301) nach einer MdE 60 vH.
Tenor
Der Bescheid vom 11. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Feststellung von “operiertes bilokuläres Urothelcarcinom der Harnblase und Funktionseinschränkung der linken Niere„ als Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ab Oktober 2005 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vom Hundert zu gewähren.
Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob eine Blasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine - festzustellen ist und der Kläger deswegen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der 1942 geborene Kläger war von August 1976 bis Juli 2006 bei der Firma ... zunächst als Instandhalter, seit 1986 als Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft beschäftigt. Seit dem 01.08.2006 bezieht er von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Der Urologe Prof. Dr. ... diagnostizierte bei dem Kläger im April 1992 u. a. ein bilokuläres Urothelcarcinom der Harnblase, Stadium mpTa G 1, N0, M0 (vgl. Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums ... vom 20.05.1992). Bis April 2000 musste sich der Kläger insgesamt neun transurethralen Resektionen bzw. Nachresektionen unterziehen. Zuletzt beurteilte Prof. Dr. ... das histologische Stadium des Urothelcarcinoms mit mpTis, pT 1 G 3 (vgl. Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums ... vom 23.08.2005).
Im Oktober 2005 erstattete der Allgemeinmediziner Dr. ... der Beklagten eine Ärztliche Anzeige über den Verdacht einer BK. Der Kläger sei bei seiner Tätigkeit in den ... Expositionen gegenüber Tri, Toluol, diversen Gummichemikalien einschließlich Beschleunigern, Alterungsmitteln und Weichmachern ausgesetzt gewesen. Es sei davon auszugehen, diese Betriebsstoffe hätten zumindest während der Anfangszeit der Tätigkeit des Klägers Spuren aromatischer Amine enthalten.
Zu den beruflichen Expositionen des Klägers leitete die Beklagte weitere Ermittlungen ein (Befragung des Klägers am 16.11.2005 im Beschäftigungsbetrieb mit Ergänzung vom 14.12.2005). Außerdem zog die Beklagte ihre Betriebsakte, das Vorerkrankungsverzeichnis der ... Krankenkasse München und die Behandlungsunterlagen der Urologischen Klinik des Klinikums ... von April 1992 bis April 2006 bei; weiter holte sie Auskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers (Urologe Dr. ..., Allgemeinmedizinerin Dr. ...) ein. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 20.01.2006 aus, die vom Kläger vorgelegten Listen der betrieblichen Einsatzstoffe enthielten keine Hinweise auf die Verwendung von Stoffen, die als Auslöser einer BK nach der Nr. 1301 gelten könnten. Aus der Betriebsakte ergäben sich allerdings Hinweise auf die Verarbeitung von Phenyl-Beta-Naphthylamin (PBN). Dieser Stoff sei früher regelmäßig mit Beta-Naphthylamin verunreinigt gewesen. Dieser Stoff sei geeignet, eine BK der Nr. 1301 hervorzurufen. Zwar habe der Beschäftigungsbetrieb des Klägers den Umgang mit diesen Stoffen nicht gemeldet; nach seinem - des TAD - Eindruck gebe und habe es in dem Betrieb jedoch niemanden gegeben, der in der Lage gewesen sei, zu beurteilen, ob aromatische Amine dort vorgekommen seien oder nicht. Es sei davon auszugehen, der Beschäftigungsbetrieb habe die für Gummibetriebe üblichen Rohstoffe verwendet, mithin zwischen 1976 (Beginn der Beschäftigung des Klägers) und 1993 (Einstellung der Produktion von PBN) auch Betriebsstoffe, die Beta-Naphthylamin enthielten...