Entscheidungsstichwort (Thema)
Angemessenheit der Unterkunftskosten des in einer Wohngemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen
Orientierungssatz
1. Liegen die Voraussetzungen einer Bedarfsgemeinschaft nicht vor, weil ein gemeinsames haushaltsmäßiges Wirtschaften des Hilfebedürftigen mit den übrigen Mitbewohnern nicht feststellbar ist, so führt die Bereitschaft des Hilfebedürftigen, sich mit Dritten eine Wohnung zu teilen, nicht zu einer abweichenden Bestimmung der für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsgröße. Das Zusammenleben mit Dritten kann vom Hilfebedürftigen nicht verlangt werden.
2. Es besteht kein sachlich rechtfertigender Grund, die einzelnen Mitglieder einer Wohngemeinschaft anders zu behandeln als in den Fällen, in denen sie allein leben. Deshalb muss sich der einzelne in einer Wohngemeinschaft Lebende nicht auf einen geringeren Teil der Wohnfläche beschränken als ihm zustünde, wenn er allein lebte.
3. Ergibt sich nach einer Aufteilung der gemeinsam genutzten Küchenfläche ein insgesamt vom Hilfebedürftigen selbst genutzter Wohnraum von 53 qm , so ist dieser Wohnraum nicht mehr angemessen, weil er die Angemessenheitsgrenze von 45 qm überschreitet. Macht er aber wegen eines nur geringen Mietpreises lediglich Kosten der Unterkunft von weniger als 200,- €. monatlich geltend, so sind diese als unterhalb des Spektrums der Angebotsmieten liegend angemessen.
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 22.02.2008 bis zur Erteilung eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides für den Zeitraum ab dem 01.02.2008, längstens bis zum 31.03.2008, weitere Leistungen für Unterkunft in Höhe von 93,53 Euro monatlich unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu erbringen.
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Mit seinem am 22.02.2008 bei dem Sozialgericht Kassel eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller - nur noch - höhere Leistungen für Unterkunft.
Der 1948 geborene Antragsteller bewohnt seit dem Jahre 2004 gemeinsam mit Frau R. M. (*1950) und deren Tochter S.-L. M. (*1988) ein Haus. Nach dem vom Antragsteller und Frau R. M. mit dem Vermieter am 01.06.2004 geschlossenen Mietvertrag ist eine Nettokaltmiete von 500,00 Euro monatlich zzgl. sonstiger Betriebskosten (kalt) von 38,00 Euro monatlich als Gesamtzahlung an den Vermieter vereinbart worden. Die Gesamtwohnfläche beträgt 110 m². Seit dem 01.01.2005 erbringt die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II. Hierbei gingen sämtliche Beteiligte vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers mit Frau M. und ihrer Tochter aus, weil zwischen dem Antragsteller und Frau M. eine nichteheliche Lebensgemeinschaft bestünde. Die Bewilligung der Leistungen erfolgte jeweils unter Anrechnung des Erwerbseinkommens des Antragstellers aus selbständiger Tätigkeit als freier Übersetzer sowie - zeitweilig - unter Berücksichtigung von Einkommen von S.-L. M.. Die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung für die Bedarfsgemeinschaft blieb im Einzelnen streitig. Nach eigenen Angaben nutzte der Antragsteller 24 % der Gesamtwohnfläche für seine selbständige Tätigkeit; die Antragsgegnerin berücksichtigte für Kosten der Unterkunft und Heizung einen Anteil von 76 % der Gesamtwohnfläche. Die Heizkosten entstehen durch die Bevorratung von Gas in einem Gastank und Lieferung von Holz. Mit Schreiben vom 25.01.2006 teilte die Antragsgegnerin der Bedarfsgemeinschaft mit, die von ihr zu zahlenden Kosten der Unterkunft würden die angemessenen Kosten der Unterkunft übersteigen. Die Unterkunftskosten seien daher als unangemessen zu beurteilen. Gemäß § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) II könnten die unangemessenen Wohnkosten deshalb nur für eine Übergangszeit von 6 Monaten bei der Bedarfsberechnung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt werden. Zur Vermeidung von wirtschaftlichen Nachteilen sei der Bedarfsgemeinschaft dringend zu empfehlen, diese Übergangszeit zu nutzen, und eine Minderung der Unterkunftskosten durch einen Wohnungswechsel, Untervermietung oder andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Die Arbeitslosengeld II-Leistungen müssten zur Abgeltung der Aufwendung für die Unterkunft ab dem 01.08.2006 auf den für die Wohnung angemessenen Betrag in Höhe von 340,00 Euro festgesetzt werden, wenn keine Anstrengungen in diesem Sinne von der Bedarfsgemeinschaft unternommen würden. Am 01.09.2006 zog der Sohn von Frau R. M., B. M., in das von der Bedarfsgemeinschaft gemeinsam genutzte Haus ein. Seitdem wird das Haus von vier Personen bewohnt.
Auf den Fortzahlungsantrag des Antragstellers für die Bedarfsgemeinschaft mit Frau R. M. und Frau S.-L. M. bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller und der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 13.09.2007 für den Zeitraum vom 01.10.2007 bis zum 31.03.2008 Leistungen nach dem SGB II. Von diesen Leistungen ist Herr B. M. nicht betroffen. Er bezieht vielmehr von der Antragsgegnerin ...