Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.06.2023; Aktenzeichen B 1 KR 11/22 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, die 1977 geborene, bei der Beklagten in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherte Klägerin mit einer ambulanten Liposuktionsbehandlung in Form einer lymphologischen Liposkulptur an beiden Armen und Beinen sowie im Nackenbereich zu versorgen bzw. ihr auf entsprechende Selbstbeschaffung die insoweit bereits entstandenen Kosten zu erstatten.

Den entsprechenden Antrag hatte die Klägerin mit Eingang bei der Beklagten am 15. Juni 2018 unter ausführlicher Darlegung ihrer Krankengeschichte, zahlreicher Krankenunterlagen, mehrerer ärztlicher Bescheinigungen und unter anderem eines Kostenvoranschlages der CG Lympha GmbH, Fachklinik für operative Lymphologie, C-Stadt, gestellt, wobei die durch die beantragten Maßnahmen entstehenden Kosten von dort mit 15.900,00 € zuzüglich der Anästhesiekosten beziffert worden waren. Die Klägerin selbst hatte unter anderem auf der Grundlage der von ihr vorgelegten Unterlagen darauf hingewiesen, dass das bei ihr an beiden Armen vom Handgelenk bis zu den Schultern, an beiden Beinen je vom Knöchel beginnend bis zu den Hüften inklusive der Hüften vorliegende Lymphödem im Stadium III vorliege und in Verbindung mit der bei ihr gleichzeitig vorliegenden Multiplen Sklerose (MS) im Nackenbereich ständig weiter wachse sowie im Übrigen auch nur durch die beantragten Maßnahmen gewährleistet sei, dass die von ihr dringend benötigten Injektionen für die Behandlung ihrer MS gesichert würden. Ödempatienten dürften nämlich nicht in Arme und Beine gespritzt werden, da die Lymphbahnen dadurch verletzt würden. Auch die unerträglichen ödembedingten Schmerzen seien schließlich nur noch durch die beantragten Maßnahmen zu lindern.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beklagte führte aus, bei der Liposuktion handele es sich um eine sogenannte neue Behandlungsmethode. Sie gehören nicht zur vertragsärztlichen Versorgung und könne daher auch nicht über die Versichertenkarte abgerechnet werden. Alle Leistungen und Behandlungsmethoden müssten dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dabei werde selbstverständlich auch der medizinische Fortschritt berücksichtigt. Die Qualitätssicherung habe der Gesetzgeber auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) übertragen. Dieser beurteile und bewerte die neuen Behandlungsmethoden, indem er sie mit den bereits etablierten Leistungen vergleiche. Kriterien hierfür seien ein diagnostischer bzw. therapeutischer Nutzen, die Notwendigkeit der Maßnahmen und deren Wirtschaftlichkeit. Solange der GBA eine Behandlungsmethode nicht anerkannt habe, sei eine Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht möglich. Ein Grundsatz, der bereits mehrfach vom Bundessozialgericht (BSG) bestätigt worden sei. Eine Anerkennung durch den GBA sei für die Liposuktion noch nicht erfolgt. Allerdings sei mit Beschluss vom 22. Mai 2014 vom GBA ein Beratungsverfahren zur Bewertung der Liposuktion bei Lymphödem eingeleitet worden. In derartigen Fällen sei eine sozialmedizinische Empfehlung nur möglich, wenn vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 6. Dezember 2015, 1 BvR 347/98 formulierte Voraussetzungen kumulativ vorliegen würden. Es müsse sich insoweit um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder um eine akut drohende schwere, irreversible Behinderung oder Pflegebedürftigkeit handeln. Bezüglich dieser Erkrankung dürfe darüber hinaus eine allgemein anerkannte, dem medizinische Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehen. Weiterhin müsse bezüglich der angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vorliegen. Da ein Lymphödem grundsätzlich keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung sei, scheide die Anwendung dieses so genannten Nikolaus-Beschlusses des BVerfG hier aus. Seit Januar 2015 existiere im Übrigen ein Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Sozialversicherung (MDS), wonach sich die Liposuktion bei Lipödem/Lymphödem noch im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung befinde. Zur Reproduktion bei Lymphödem seien nur Publikationen kleiner Fallserien bekannt, die grundsätzlich nicht geeignet seien, einen patientenrelevanten Vorteil zu belegen. Die definitiven Vorgaben an Qualität und Wirtschaftlichkeit seien nicht erfüllt. Es liege keine positive Empfehlung durch den GBA vor. Zur konservativen Lymphödem-Therapie stehe darüber hinaus die Komplexe Physikalische Entstauungsbehandlung (KPE) zur Verfügung. Dabei werde das Ödem mit manueller Lymphdrainage reduziert. Das Entstauungsergebnis werde danach mit (Kurzzug-...

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