Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Höhe des Regelsatzes bei einem vollständig erwerbsgeminderten Haushaltsangehörigen

 

Orientierungssatz

Ein behinderter Hilfeempfänger, der aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, einen eigenen Hausstand zu führen (hier: geistige Behinderung und daraus resultierende Hilflosigkeit), kann im Rahmen der Sozialhilfeleistungen lediglich den reduzierten Regelsatz für Haushaltsangehörige beanspruchen. Die Zuerkennung eines ungeminderten Regelsatzes als Haushaltsvorstand bzw. die Angleichung des Regelsatzes eines Haushaltsangehörigen an den eines Haushaltsvorstandes kommen dagegen nicht in Betracht (entgegen BSG Urteil vom 19.5.2009, Az.: B 8 SO 8/08 R).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Regelsatzes für die Zeit 1.7.2009 bis 30.6.2010.

Die X Klägerin leidet an geistiger Minderbegabung als Folge eines frühkindlichen Hirnschadens (Intelligenztiefstand vom Grad der Debilität). Sie ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt mit der Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung), B (Notwendigkeit ständiger Begleitung), H (Hilflosigkeit) und RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht). Nach dem Beschluss des Amtsgerichtes Bonn vom 24.11.1987 ist die geistige Behinderung bei der Klägerin so schwerwiegend, dass sie nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Sie besitzt nur dürftige Kenntnisse im Rechnen, kann weder lesen noch schreiben, nur wenige Buchstaben nachmalen und kennt zwar Geld, kann aber dessen Wert nicht einschätzen. Es wurde eine gesetzliche Betreuung für die Klägerin eingerichtet, Betreuerin war und ist ihre Stiefmutter, mit der die Klägerin seit langen Jahren in einer Wohnung zusammenlebt. Der Aufgabenkreis der Betreuerin umfasst alle Angelegenheiten der Klägerin, mit Ausnahme der Entscheidung über die Sterilisation. Bei der Klägerin besteht nach Mitteilung der LVA Rheinprovinz volle Erwerbsminderung. Sie bezieht seit Januar 2003 von der Beklagten fortlaufend Grundsicherungsleistungen, zunächst nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG), seit dem 1.1.2005 nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch -Sozialhilfe- (SGB XII), wobei der Regelbedarf für einen Haushaltsangehörigen bewilligt worden ist. Im streitbefangenen Zeitraum lebte die Klägerin mit ihrer Stiefmutter in X wobei die Stiefmutter die Mieterin der Wohnung war. Mit Urteil vom 27.6.2008 hatte das Sozialgericht Köln die Klage der Klägerin auf Gewährung eines höheren Regelsatzes als Haushaltsvorstand abgewiesen (S 27 SO 116/07 SG Köln). Das Gericht hatte im Urteil zur Begründung ausgeführt, die Klägerin und ihre Stiefmutter lebten in einem gemeinsamen Haushalt. Im Rahmen dieses gemeinsamen Haushaltes sei die Klägerin nicht als Haushaltsvorstand, sondern als Haushaltsangehörige zu sehen. Die Generalkosten des Haushaltes würden von der Stiefmutter getragen. Die gegen das Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos (Beschluss des LSG NRW vom 3.12.2008 -L 12 B 56/08 SO NZB-). Mit Bescheid vom 27.6.2009 bewilligte die Beklagte Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.7.2009 bis 30.6.2010 in Höhe von 575,79 Euro unter Anerkennung eines Regelbedarfs für einen Haushaltsangehörigen in Höhe von 287,- Euro, eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 48,75 Euro und Kosten der Unterkunft in Höhe von 240,- Euro. Die Klägerin erhob Widerspruch und rügte die Höhe des Regelsatzes. Zwischen ihr und ihrer Stiefmutter bestünde keine Einsatzgemeinschaft. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.8.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie verweist auf das Urteil des SG Köln vom 27.6.2008 (S 27 SO 116/07 SG Köln).

Die Klägerin hat am 3.9.2009 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren und verweist auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.5.2009 (B 8 SO 8/08 R) und 23.3.2010 (B 8 SO 15/08 R). Würde sie einem gesunden Kläger nicht gleichgestellt, käme dies einer Diskriminierung ihrer Person wegen Behinderung gleich.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.8.2009, an sie ab dem 1.7.2009 Regelsatzleistungen in Höhe von 359,- Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, die zitierten Urteile des BSG seien hier nicht anwendbar. Diese behandelten Fälle beim Wechsel aus dem Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch -Grundsicherung für Arbeitssuchende- (SGB II) in den Leistungsbezug nach dem SGB XII bzw. der behinderte Kläger des am 23.3.2010 entschiedenen Rechtsstreits sei in der Lage gewesen, eine Werkstatt für behinderte Menschen aufzusuchen. Der Fall der Klägerin liege anders, sie führe keinen eigenen Haushalt und sei hierzu aufgrund ihrer Behinderung au...

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