Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Grundleistung. Anspruchseinschränkung. Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens. teleologische Reduktion. fortbestehende Pflichtverletzung. Bedarfssätze bei Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung. verfassungskonforme Auslegung. Nachweis gemeinsamen Wirtschaftens
Orientierungssatz
1. Für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 7 AsylbLG ist im Wege der normerhaltenden teleologischen Reduktion zu fordern, dass dem Leistungsberechtigten aktuell ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.
2. Eine Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums kann allenfalls bei einer verfassungskonformen Auslegung des § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b bzw des § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG angenommen werden, nach der die Anwendung der Bedarfsstufe 2 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in der Sammelunterkunft Untergebrachten voraussetzt.
Tenor
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 01.01.2020 bis zum 30.06.2020 zu gewähren.
II. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig weiterhin Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren. Umstritten ist insoweit eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG.
Der 1997 geborene Antragsteller ist eritreischer Staatsangehöriger und reiste am 13.10.2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Antragsteller wurde in einer Aufnahmeeinrichtung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners untergebracht.
Der Antragsteller ist alleinstehend und beantragte am 14.10.2018 Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31.10.2019 als unzulässig abgelehnt. Die Schweiz sei für die Behandlung des Asylantrages zuständig. Die Abschiebung in die Schweiz wurde angeordnet.
Mit Schreiben vom 26.11.2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Leistungskürzung an. Beim Antragsteller seien die Tatbestandsmerkmale des § 1a Abs. 7 AsylbLG erfüllt. Mit Bescheid vom 16.12.2019 stellte der Antragsgegner die Einschränkung der Leistungen nach § 1a Abs. 7 iVm Abs. 1 AsylbLG fest und gewährte dem Antragsteller ab dem 01.01.2020 bis 30.06.2020 Leistungen für Unterkunft und Heizung, Ernährung, Gesundheits- und Körperpflege als Sachleistung.
Der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 31 Abs. 6 des Asylgesetzes (AsylG) als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung sei nach § 34a Abs. 1 S. 1 zweite Alternative AsylG angeordnet worden. Die Anspruchseinschränkung sei zwingende gesetzliche Folge. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 18.12.2019 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.12.2019 ein. Auf die dortige Begründung wird verwiesen. Über den Widerspruch wurde bisher, soweit ersichtlich, nicht entschieden.
Mit seinem Antrag vom 18.12.2019 auf einstweiligen Rechtsschutz hat sich der Antragsteller, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, an das Sozialgericht Landshut gewandt.
1. Der Antragsteller habe Anspruch auf Leistungen gem. §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1). Die Regelung des § 1 a AsylbLG verletze das durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Denn zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bestehe ein unmittelbar verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch. Gesichert werden müsse einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Das Grundrecht sei dem Grunde nach unverfügbar und müsse durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden, bedürfe aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber. Ihm stehe ein Gestaltungsspielraum zu. Das Grundgesetz stehe auch einer Entscheidung des Gesetzgebers nicht entgegen, von denjenigen, die staatliche Leistungen der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen, zu verlangen, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen. Demgegenüber könne ein legitimes Ziel solcher Mitwirkungspflichten nicht darin gesehen werden, die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu fördern. Dem Grundgesetz sei ein solcher Paternalismus fremd. Es gebe keine "Vernunfthoheit" staatlicher Organe; vielmehr fordere das Grundgesetz Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung der Einzelnen, ohne den hilflosen Menschen einfach sich selbst zu überlassen. Das schließe Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche...