Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. neue Behandlungsmethode. Liposuktion aufgrund Lipödem. Potentialleistungsanspruch
Orientierungssatz
Zum Anspruch auf Kostenübernahme für eine Liposuktion aufgrund eines Lipödems als Potentialleistung iSd § 137c Abs 3 SGB 5.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 39 Abs. 1 S. 1, § 92 Abs. 1 S. 2 Nrn. 5, 13, § 136 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 137c Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 3, § 137e Abs. 2 S. 3; ErpRL-Liposuktion; KHMeRL Anl 1 Fassung: 2019-09-19
Tenor
I. Der Bescheid vom 19.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2021 wird aufgehoben und die Beklagte dazu verurteilt, die Kosten für eine Behandlung mittels mehrzeitiger wasserstrahlassistierter Liposuktion an den Oberschenkeln sowie am Gesäß, an der Hüfte und an den Oberarmen zu übernehmen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Übernahme von Kosten für eine Liposuktion aufgrund eines Lipödems.
Die im Jahr 1978 geborene Klägerin leidet an einem Lipödem des Stadiums II, welches erstmals im Jahr 2018 diagnostiziert wurde. Zudem besteht u.a. eine Adipositas, eine rezidivierende depressive Störung, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und ein Schulter-Arm-Syndrom mit Mittelnervenschädigung beidseits. Seit dem 02.03.2020 wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 ohne Merkzeichen festgestellt. Der Einzel-GdB für das Lipödem beträgt 20.
Mit Schreiben vom 23.04.2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine mehrzeitige wasserstrahlassistierte Liposuktion in stationärer Durchführung im H. in E-Stadt. Diese Behandlung verschaffe ihr dauerhafte Schmerzbeseitigung und wieder deutlich mehr Lebensqualität.
Mit Bescheid vom 19.05.2021 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Die Behandlung sei aktuell noch keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse.
Mit Schreiben vom 11.06.2021 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Laut ihrer behandelnden Ärzte leide sie an einem Lipödem des Stadiums II bis III. Die Erkrankung sei aufgrund der enormen Schmerzsymptomatik so schwerwiegend, dass ihre Lebensqualität auf Dauer nachhaltig enorm beeinträchtigt sei. Insbesondere leide sie an Spannungsschmerzen, die sie seelisch beeinträchtigten und zu sozialer Isolation führten. Konservative Therapien hätten zu keiner relevanten Beschwerdelinderung geführt und seien ausgeschöpft. Umfangreiche körperliche Aktivität und Ernährungsumstellung hätten ebenfalls keine Besserung gebracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar liege grundsätzlich eine behandlungsbedürftige Erkrankung vor, diese sei jedoch begrenzt auf Behandlungsmethoden, die das Qualitätsgebot erfüllen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) habe im Lichte dessen lediglich für eine Liposuktion wegen Lipödem ab Stadium III eine positive Empfehlung abgegeben. Daraus folge im Umkehrschluss, dass eine Liposuktion wegen Lipödem des Stadiums bis II nicht anerkannt worden sei. Eine Ausnahme von der strengen Bindung an das Qualitätsgebot sei nur bei der Behandlung von lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen möglich. Eine solche stelle ein Lipödem jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht dar.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten am 15.10.2021 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Potentialleistung vorliegen.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht die medizinischen Unterlagen beigezogen und schließlich Beweis erhoben durch das Gutachten nach Aktenlage der Sachverständigen Dr. med. M. vom 29.10.2023.
* Die Sachverständige bestätigt zunächst das Vorliegen eines Lipödems des Stadiums II. Betroffen seien insbesondere die Oberschenkel und die Hüften sowie die Oberarme, jeweils beidseits. Bedingt durch die Schmerzen in den Beinen bestehe eine eingeschränkte körperliche Belastbarkeit und Beweglichkeit.
* Im Fall der Klägerin sei es nicht möglich, die Liposuktion im ambulanten Setting durchzuführen.
* Auch wenn keine lebensbedrohliche Situation bestehe, handele es sich nach Ansicht der Sachverständigen um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Aufgrund eines erhöhtes Drucks im Weichteilgewebe komme es bei Belastung häufig zu Schmerzen in den Beinen und Armen; typisch seien ebenfalls Berührungs- und Druckschmerzhaftigkeit mit einem erheblichen Spannungsgefühl. Für die Ausprägung der Beschwerden sei das Stadium alleine nicht aussagekräftig. Häufig bestehe keine Korrelation zwischen klinischer Symptomatik und der Stadieneinteilung; so auch im Fall der Klägerin: Diese leide an einer ausgeprägten klinischen Symptomatik bei noch mittlerer Stadieneinteilung. In mehreren Arztbriefen werde ein positives Stemmerzeichen als Hinweis auf eine progrediente Lymphstauung beschrieben. Durch die Z...