Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. vollstationäre Behandlung als ultima ratio, wenn ambulante 24-stündige 1:1. Betreuung durch Intensivpflegedienst bei (zwischenzeitlicher) Entlassung nicht sichergestellt ist
Leitsatz (amtlich)
Vollstationäre Behandlung als ultima ratio ist auch dann (weiter) zu gewähren, wenn eine ambulante 24-stündige 1:1 - Betreuung durch einen Intensivpflegedienst bei (zwischenzeitlicher) Entlassung nicht sichergestellt ist.
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 71.942,74 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.01.2016 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kosten einer Krankenhausbehandlung.
Der bei der Beklagten familienversicherte C., geboren …. 2008, leidet seit seiner Geburt unter einem Kurzdarmsyndrom. Deswegen ist er mit einem Broviac-Katheter zur Sicherstellung der parenteralen Ernährung versorgt. Dessen ambulante Versorgung übernahm ein spezieller Intensivpflegedienst mit einer 1:1- Betreuung für 24 Stunden. Hierfür sind die ständige Überwachung von Vitalzeichen mit Monitoring und ausreichenden Kühlmöglichkeiten für die Infusionen sicherzustellen. Vor dem 23.03.2015 waren innerhalb von zwei Jahren zwanzig unterschiedliche Pflegedienstbeschäftigte damit betraut, wobei es öfters zu Unstimmigkeiten mit der Kindsmutter gekommen war. Auf Grund seiner Erkrankung bedarf er häufig vollstationärer Behandlung.
Zum Wechsel des defekten Broviac- Katheters hielt sich der Versicherte deshalb erneut vom 23.03.2015 bis 25.06.2015 vollstationär im Krankenhaus der Klägerin auf. Währenddessen kündigte der bis dahin noch tätige Intensivpflegedienst am 01.04.2015 die Betreuung des Patienten. Seitdem verfügte dieser über keinen Wohnraum mehr, weil sein Platz in einer Pflege- Wohngemeinschaft vertraglich mit der Betreuung durch diesen Intensivpflegedienst zusammenhing. Der Klinik- Sozialdienst der Klägerin bemühte sich seitdem vergeblich um die Beschaffung von Ersatz- Wohnraum sowie um eine spezielle Intensivpflegedienst- Betreuung. Bis 15.05.2015 erhielt er nach Angaben der Klägerin nur Absagen von Intensivpflegediensten; selbst großräumig, d.h. bis Berlin und Erfurt, war kein Pflegedienst zu seiner Betreuung bereit.
Nach dem Wechsel des Broviac- Katheters in Allgemein- Anästhesie am 27.03.2015 kam es am 29.05.2015 erneut zu einem Anstieg der Fieber- und Infektionsparameter, woraufhin die Klägerin die eingeleitete antibiotische Therapie am 07.06.2015 umstellte. Um den Patienten am 25.06.2015 in das spezielle Wohnheim …. in C-Stadt entlassen zu können, hatten Beschäftigte der Klägerin Mitarbeiter des Wohnheims noch im Krankenhaus entsprechend eingearbeitet.
Für die Behandlung des Klägers stellte das Krankenhaus der Klägerin am 14.07.2015 insgesamt 105.086,30 Euro unter der DRG A36A in Rechnung (Intensivmedizinische Komplexbehandlung ≫ 1176 / 1656 / 1656 Aufwandspunkte bei bestimmten Krankheiten und Störungen oder intensivmedizinische Komplexbehandlung ≫ 588 / 552 / 552 Aufwandspunkte bei Versagen und Abstoßung eines Transplantates hämatopoetischer Zellen). Hauptdiagnose war die T85.6 (mechanische Komplikationen durch sonstige näher bezeichnete Prothesen, Implantate oder Transplantate). Weitere Nebendiagnosen und der OPS 8-98.d.b. waren aufgeführt (Intensivmedizinische Komplexbehandlung im Kindesalter (Basisprozedur): 2.647 bis 2.940 Aufwandspunkte).
Nach vollständiger Zahlung, Auffälligkeits- und Prüfanzeige vom 17.07.2015 und 20.07.2015 fertigte Frau Dipl.-Med. N. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 14.01.2016 ein Gutachten. Danach sei für den Zeitraum 06.04.2015 bis 29.05.2015 eine Fehlbelegung festzustellen. Schwierigkeiten aus familiären und fachlichen Gründen, die eine frühere Entlassung zwischenzeitlich verhindert hätten, unterfielen nicht dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dies teilte die Beklagte unter dem 19.01.2016 mit. Die Kosten für eine Verlängerung des stationären Aufenthaltes wegen Kündigung des Pflegedienstes seien nicht von ihr zu tragen. Daher sei sie nicht verpflichtet, wegen fehlender Betreuung und Verlust der Wohnung - trotz fehlender medizinischer Indikation - für die weitere vollstationäre Betreuung des Versicherten aufzukommen. Im Übrigen sei statt des OPS 8-98.d.b der OPS 8-98.d.3 in Ansatz zu bringen (Intensivmedizinische Komplexbehandlung im Kindesalter (Basisprozedur): 589 bis 784 Aufwandspunkte). Dieser Behandlungsfall müsse daher mit der DRG A36B abgerechnet werden (Intensivmedizinische Komplexbehandlung ≫ 588/ 552/ 552 und ≪ 1177 / 1657 / 1657 Aufwandspunkte bei bestimmten Krankheiten und Störungen oder komplizierende Konstellation bei Versagen und Abstoßung eines Transplantates hämatopoetischer Zellen).
Sie verrechnete daraufhin am 21.01.2016 insgesamt 71.942,47 Euro.
Diesen Betrag hat die Klägerin mit ihrer am 14.12.2020 zum Sozialgericht C-Stadt erhobenen Klag...