Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss an das BVerfG: Krankenversicherung. Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Prüfung des § 27a Abs 1 Nr 3 und 4 SGB 5
Orientierungssatz
Ist § 27a Abs 1 Nr 3 und 4 SGB 5 idF von Art 2 Nr 2 des Gesetzes über die 19. Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sowie zur Änderung weiterer sozialrechtlicher Vorschriften (KOV-Anpassungsgesetz 1990 - KOVAnpG 1990, BGBl I 121) wegen Verletzung der Art 6 Abs 1 und 5, Art 3 Abs 1, Art 2 Abs 1 und 2, Art 1 Abs 1 GG insoweit verfassungswidrig, als medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung) nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließlich auf Personen beschränkt sind, die miteinander verheiratet sind (§ 27a Abs 1 Nr 3 SGB 5) und ausschließlich von Ehegatten Ei- und Samenzellen verwendet werden dürfen (§ 27a Abs 1 Nr 4 SGB 5)?
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Bundesverfassungsgericht wird zur Entscheidung folgende Frage vorgelegt:
Ist § 27a Abs. 1 Nr. 3 und 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.d.F. von Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes über die 19. Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sowie zur Änderung weiterer sozialrechtlicher Vorschriften (KOV-Anpassungsgesetz 1990 - KOVAnpG 1990, BGBl. I 121) wegen Verletzung der Artikel 6 Absatz 1 und 5, Artikel 3 Absatz 1, Artikel 2 Absatz 1 und 2, Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (GG) insoweit verfassungswidrig, als medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung) nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließlich auf Personen beschränkt sind, die miteinander verheiratet sind
(§ 27a Abs. 1 Nr. 3 SGB V) und ausschließlich von Ehegatten Ei- und Samenzellen verwendet werden dürfen (§ 27a Abs. 1 Nr. 4 SGB V)?
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung streitig.
Die 1972 geborene Klägerin lebt seit 1995 mit dem ebenfalls gesetzlich krankenversicherten M. S., geboren 1974, in nicht-ehelicher Lebensgemeinschaft. Deren Kinderwunsch ist auf natürlichem Weg nicht erfüllbar, denn seit drei Jahren besteht bei dem Paar Sterilität. Diese ist, nach einer Bescheinigung des Gynäkologen Dr. G., auf ein hochgradiges OAT-Syndrom zurückzuführen. Für eine erfolgreiche Therapie sei zuzüglich zur In-vitro-Fertilisation (IVF-) eine intracytoplasmatische Spermainjektion (ICSI-)Behandlung geboten.
Infolge einer Fertilitätsstörung des Mannes, d.h. einer Einschränkung seiner Fruchtbarkeit und geschlechtlichen Vermehrungsfähigkeit (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Aufl.), ist es dem Paar nicht möglich, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. Aus diesem Grund wird die Technik der extrakorporalen Befruchtung angewandt. Hierbei gelingt es im Wege der sogenannten "In-vitro-Fertilisation" regelmäßig nicht, Samen- und Eizelle zur spontanen Verschmelzung im Reagenzglas zusammenzubringen, so dass darüber hinaus Maßnahmen zur "intracytoplasmatischen Spermainjektion" zum Tragen kommen. Hierbei wird der Eizelle unmittelbar ein einzelnes Spermium mit Hilfe einer mikroskopisch dünnen Nadel injiziert. Durch Hormonbehandlung der Frau werden mehrere Eizellen verfügbar gemacht, dem Körper entnommen und nach dem Befruchtungsvorgang im Wege des Embryonentransfers in den Körper der Frau übertragen.
Am 28.11.2001 beantragte die Klägerin eine Kostenübernahme für eine IVF- bzw. ICSI-Behandlung.
Die Kosten für eine kombinierte IVF/ICSI-Behandlung zuzüglich Narkose belaufen sich nach Kostenvoranschlägen auf 2283,82 DM und 410,16 DM. Unstreitig haben der behandelnde Gynäkologe der Klägerin, Prof. Dr. G., sowie Dr. G. und Dr. H. die Klägerin und ihren Lebenspartner zuvor über die Auswirkungen der Behandlungen in medizinischer und psychosozialer Hinsicht zuvor unterrichtet.
Beigefügt war dem Antrag ein Befürwortungsschreiben der Sächsischen Landesärztekammer vom 23.11.2001. Danach sei ausnahmsweise - trotz fehlender ehelicher Lebensgemeinschaft - eine IVF-Behandlung zulässig.
Durch Bescheid vom 29.11.2001 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Kostenübernahme sei nur bei verheirateten Paaren gesetzlich vorgesehen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 21.12.2001 Widerspruch. Die Einschränkung des Gesetzes durch das Erfordernis einer bestehenden Ehe sei im Hinblick auf die gesellschaftlichen und gesetzlichen Veränderungen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Vom Gesetzgeber würden inzwischen auch andere Partnerschaften rechtspolitisch berücksichtigt. Des Weiteren wurde auf die demographische Entwicklung Deutschlands und den wachsenden Prozentsatz nichtehelicher Kinder verwiesen. Auch im Kindschaftsrecht sei eine Gleichstellung der ehelichen mit den nicht-ehelichen Kindern geboten. Nicht-eheliche Lebensgemeinschaften dürften insoweit nicht schlechter gestellt werden als Ehen. Aus dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes folge, dass einer nicht-verheirateten Frau, ebenso wie einer Ehefrau, die Möglichkeit...