Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrentenanspruch. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe. Beweislast. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Ein langjähriges eheähnliches Zusammenleben unterstreicht die Rechtsvermutung, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat ist, der späteren Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Dies gilt umso mehr, wenn nach jahrelangem Zusammenleben kurz nach dem bekannt werden einer zum Tode führenden Erkrankung eines Partners geheiratet wird. Gleiches gilt, wenn die Ehe nach dem bekannt werden eines dringenden Verdachts auf eine lebensbedrohliche Erkrankung geschlossen wird.
2. Eine kurzfristige Heirat im Krankenhaus wird nur aus einem sehr wichtigen Grund wie üblicherweise einer lebensbedrohlichen Erkrankung von den Standesämtern vorgenommen (sog Nottrauung).
3. Eine feste, konkrete Heiratsabsicht vor bekannt werden der lebensbedrohlichen Erkrankung als ein von der Versorgungsabsicht verschiedenes Motiv muss von der Witwe nachgewiesen werden (Vollbeweis).
4. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe gilt nicht nur in Fällen, in denen eine geringe oder sogar fehlende eigene Versorgung der Witwe vorliegt, sondern auch dann, wenn die Hinterbliebenenversorgung die wirtschaftliche Situation der Witwe verbessern würde.
5. Die Regelung, dass die Witwe die objektive Beweislast trägt, dass die Heirat nicht auf einer Versorgungsabsicht beruht, verstößt nicht gegen den in Art 6 Abs 1 GG garantierten Schutz der Ehe (vgl BSG vom 23.9.1997 - 2 BU 176/97).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, in diesem Zusammenhang insbesondere darüber, ob eine so genannte “Versorgungsehe„ vorliegt.
Die 1936 geborene Klägerin ist die Witwe des 1936 geborenen D. K. (im Folgenden: Versicherter), der von der Beklagten seit dem 01.12.1996 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bezog in Höhe von zuletzt 1.535,18 Euro monatlich.
Nach Angaben der Klägerin lebte diese mit dem Versicherten bereits seit dem 31.05.1985 in dessen Wohnung zusammen und sie seien seit dem 31.05.1987 verlobt gewesen.
Am 16.05.2002 wurde der Versicherte mit Verdacht auf einen cerebralen Prozess stationär im Klinikum N. aufgenommen. Die am selben Tag durchgeführte Computertomografie des Kopfes zeigte mehrere Hirnfiliae (Hirnmetastasen) beidseits. Röntgen-Thorax-Aufnahmen vom 16.05.2002, 22.05.2002 sowie 23.05.2002 zeigten einen großen pulmonalen Tumor rechts apikal; zusätzlich bestand eine Pneumonie rechts. Die am 23.05.2002 durchgeführte Bronchoskopie ergab eine Lungeneinengung im 1. Segment rechts, aber keinen direkten Beweis eines Tumors, sodass der Versicherte zur weiteren Klärung des Tumors am 28.05.2002 in das Forschungszentrum B. verlegt wurde unter den Diagnosen:
Lungentumor rechts unklarer Histologie,
Hirnfiliae,
Pneumonie rechts.
In B. wurde ein fortgeschrittenes großzelliges Lungenkarzinom mit Einwachsen des Tumors in die Brustwand gesichert. Am 05.06.2002 wurde der Versicherte in das Klinikum N. rückverlegt, wo er am 11.06.2002 nach einem generalisierten cerebralen Krampfanfall mit Aspiration an den Folgen des fortgeschrittenen Tumorleidens verstarb.
Während des Aufenthaltes des Versicherten im Forschungszentrum B., nämlich am 31.05.2002, heirateten die Klägerin und der Versicherte standesamtlich. Die Trauung wurde von der Standesbeamtin D. vom Standesamt I. im Krankenhaus vorgenommen. Am 29.05.2002 hatte der Versicherte die Klägerin auf dem dafür vorgesehenen Formular zur Anmeldung der Eheschließung bevollmächtigt. Die Bescheinigung der Anmeldung der Eheschließung seitens der für den Wohnort der Klägerin und des Versicherten zuständigen Standesbeamtin W. des Standesamtes N. datiert vom 30.05.2002, gleichzeitig erteilte die Standesbeamtin W. dem Standesamt I. eine standesamtliche Ermächtigung zur Vornahme der Eheschließung. Am 30.05.2002 gab der behandelnde Arzt im Forschungszentrum B. eine “Erklärung eines Arztes aus Anlass einer Eheschließung bei lebensgefährlicher Erkrankung eines Verlobten„ gegenüber dem Standesamt I. auf dessen Veranlassung ab.
Am 18.06.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente. Unter Hinweis darauf, dass die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat und unter Erläuterung der Vorschrift des § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bat die Beklagte die Klägerin um Mitteilung etwaiger Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen könnten. Hierzu teilte die Klägerin mit, sie habe bereits seit dem 31.05.1985 mit dem Versicherten in dessen Wohnung im …gang 14 in N. gelebt, ihre Wohnung in der B. Straße 21 in N. aber nicht aufgegeben und auch keine Wohnsitz-Ummeldung vorgenommen, da ihr Sohn diese Wohnung bewohnt habe. Es sei vorgesehen gewesen, den gemeinsamen Lebensabend ab 2001 in der Wohnung B. Straße zu verbringen. Daher hätten sie bereits zum 31.05.2001 eine H...