Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag

 

Orientierungssatz

Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG an, der in seinem Urteil vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R= SozR 4-2600 § 77 Nr 3, entschieden hat, dass die Praxis der Rentenversicherungsträger, bei einem Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung, das bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres entstanden ist, auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres durch Bestimmung eines niedrigeren Zugangsfaktors (= "Rentenabschlag") einen Teil der vom Rentner für die gesetzliche Rentenversicherung erbrachten Vorleistung unbeachtet zu lassen, gesetz- und verfassungswidrig ist.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2007 verurteilt, die Bescheide vom 30. September 2004 und 25. Oktober 2004 dahin abzuändern, dass dem Kläger unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn bis zum 3... 2007 eine höhere Rente gewährt wird.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zur Hälfte zu tragen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente.

Dem am 3... 1947 geborenen Kläger wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 30. September 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. August 2004 gewährt. Bei der Rentenberechnung verminderte die Beklagte den Zugangsfaktor von 1,0 für 36 Kalendermonate um insgesamt 0,108 auf einen Wert von 0,892. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2004 berechnete sie die Rente des Klägers unter Berücksichtigung von weiteren Beitragszeiten neu. Der Zugangsfaktor betrug weiterhin 0,892.

Am 12. Dezember 2006 beantragte der Kläger die Überprüfung der Rentenbescheide im Hinblick auf die Höhe des Zugangsfaktors. Entsprechend dem Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 (B 4 RA 22/05 R) sei bei der Berechnung seiner Rente ein Zugangsfaktor von 1,0 zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 2. Februar 2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Neuberechnung der Rente ab. Mit dem BSG-Urteil, auf das sich der Kläger berufe, werde eine völlig neue und der Intention des Gesetzes entgegen gesetzte Sichtweise formuliert. Anders als das BSG sei der Gesetzgeber eindeutig davon ausgegangen, dass auch die Erwerbsminderungsrenten mit einem Abschlag zu versehen sind, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers vom 6. Februar 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2007 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 13. März 2007 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Er beruft sich weiterhin auf die genannte BSG-Entscheidung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2007 zu verurteilen, die Bescheide vom 30. September 2004 und 25. Oktober 2004 dahin abzuändern, dass dem Kläger unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn eine höhere Rente gewährt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und zusammen mit der Prozessakte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn bis zum 3... 2007. Die Rentenbescheide sind entsprechend abzuändern.

Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen liegen vor, da die Beklagte bei Erlass der Rentenbescheide vom 30. September 2004 und 25. Oktober 2004 das Recht unrichtig angewandt hat.

Zu Unrecht hat die Beklagte der Rentenberechnung für die Rentenbezugszeit vor der Vollendung des 60. Lebensjahres einen um Abschläge verminderten Zugangsfaktor zugrunde gelegt. Gemäß § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Durch einen niedrigeren Zugangsfaktor als 1,0 soll entsprechend § 63 Abs. 5 SGB VI...

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