Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 4 AsylbLG. Verfassungsmäßigkeit. Abschiebung einer Familie mit minderjährigen Kindern nach Italien
Leitsatz (amtlich)
1. Es bestehen Zweifel, ob bei Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs 4 AsylbLG das verfassungsrechtliche Existenzminimum noch gewährleistet ist.
2. Im einstweiligen Rechtsschutz sind existenzsichernde Leistungen in vollem Umfang jedenfalls dann zu gewähren, wenn die Abschiebung in einen anderen EU-Staat (hier: Italien, sofern bei minderjährigen Kindern keine Garantieerklärung abgegeben wurde) wegen einer dort drohenden unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art 3 EMRK (juris: MRK) nicht möglich ist.
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Zeitraum 20.03.2017 bis 31.07.2017 Leistungen gemäß §§ 3 ff. AsylbLG ohne Einschränkungen nach § 1 a AsylbLG zu gewähren.
2. Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen Kosten zu erstatten.
3. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Verpflichtung zur Entrichtung von Raten bewilligt und Rechtsanwalt I. aus Lüneburg beigeordnet.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Rechtmäßigkeit einer Leistungseinschränkung nach § 1 a Abs. 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Die Antragsteller sind sudanesische Staatsangehörige. Die am 24.02.1990 geborene Antragstellerin reiste mit ihren am 22.01.2007, 18.11.2010 bzw. 23.05.2012 geborenen Kindern, den Antragstellern zu 3.) - 5.), am 06.04.2014 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein; ihr Ehemann bzw. Vater, der am 01.01.1989 geborene Antragsteller zu 2.), folgte ihnen am 18.05.2014. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellte mit Bescheiden vom 05.09.2014 fest, dass ihnen kein Asylrecht in der Bundesrepublik Deutschland zusteht, und ordnete die Abschiebung nach Italien an, da sie bereits in Italien ein Asylverfahren durchgeführt hätten und dort subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Mit Zustimmung der italienischen Behörden erfolgte am 27.03.2015 die Überstellung der Antragsteller nach Italien. Am 13.07.2016 reisten die Antragsteller erneut ins Bundesgebiet ein und stellten einen Asylfolgeantrag, über den bislang nicht entschieden ist. Ein weiteres Überstellungsverfahren wurde nach einer Mitteilung des BAMF vom 17.08.2016 von den italienischen Behörden abgelehnt, weil die Antragsteller zu 1.) und 2.) in Italien den Flüchtlingsstatus erhalten hätten und die Anwendung des Dubliner Übereinkommens nicht möglich sei. Der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland wird seit dem fortlaufend geduldet.
Die Antragsteller wohnen im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners in einer von der Samtgemeinde Ilmenau bereitgestellten Unterkunft; der Antragsteller zu 2.) lebt seit Januar 2017 von den übrigen Familienmitgliedern räumlich getrennt. Seit 13.07.2016 erhalten sie Leistungen nach dem AsylbLG; diese wurden mit Bescheid des Antragsgegners vom 20.07.2016 für den Zeitraum 13.07.2016 bis 31.12.2016 festgesetzt und beliefen sich nach einem Änderungsbescheid vom 25. August 2016 ab 01.08.2016 auf 1.217,38 € monatlich. Mit Änderungsbescheiden vom 30.09.2016, 27.10.2016 und 24.11.2016 wurden ihnen ab 21.09.2016 nur noch eingeschränkte Leistungen gemäß § 1 a Abs. 4 AsylbLG gewährt mit der Begründung, die Familie habe bereits von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union internationalen Schutz erhalten, welcher fortbestehe; es bestehe daher nur noch Anspruch auf Leistungen zur Deckung des Bedarfes an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege. Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 18.01.2017) haben die Antragsteller vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben (Aktenzeichen S 26 AY 4/17), über welche noch nicht entschieden ist.
Für die Zeiträume 01.01.2017 bis 31.03.2017 sowie 01.04.2017 bis 30.09.2017 bewilligte der Antragsgegner ihnen mit Bescheiden vom 20.12.2016, 16.02.2017 und 31.03.2017 weiterhin nur eingeschränkte Leistungen nach § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG; diese belaufen sich für die Antragsteller zu 1.) und 2.) auf jeweils 151,11 €, für die Antragsteller zu 3.) und 4.) auf 109,83 € und für den Antragsteller zu 5.) auf 92,22 € monatlich (ohne Unterkunftsbedarf). Über hiergegen eingelegte Widersprüche ist noch nicht entschieden.
Am 20.03.2017 haben die Antragsteller mit dem Ziel einer höheren Leistungsgewährung bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie hätten Italien verlassen, weil sie vom italienischen Staat keinerlei Unterstützung erhalten hätten. Das Existenzminimum sei dort nicht gesichert gewesen. Die Ernährung habe von Tag zu Tag sichergestellt werden müssen; medizinische Versorgung und eine gesicherte Un...