Entscheidungsstichwort (Thema)
Halbe Mittelgebühr als fiktive Terminsgebühr bei Streit um Schwerbehinderteneigenschaft
Orientierungssatz
1. RVG § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 (Vergütungsverzeichnis - VV-RVG) Nr. 3106 Ziff. 3 knüpft für die fiktive Verhandlungsgebühr bei Erledigung durch Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung nicht an die Verfahrensgebühr an und führt nicht automatisch zur Mindestgebühr, vielmehr ist der volle Gebührenrahmen eröffnet.
2. Bei der Bestimmung der Angemessenheit der fiktiven Verhandlungsgebühr der Nr. 3106 Ziff. 3 VV-RVG iVm § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG ist jedoch zu beachten, dass der anwaltliche Aufwand für einen Termin, in dem lediglich ein schriftsätzlich abgegebenes Angebot hätte angenommen werden müssen, weit unterdurchschnittlich ist.
3. Der Schwierigkeitsgrad eines Rechtsstreits, in dem es um die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft geht, ist unter Berücksichtigung der sonstigen bei dem Sozialgerichten zu behandelnden Streitigkeiten unterdurchschnittlich, wenn nicht ein ausführliches schriftliches Sachverständigengutachten auszuwerten und zu erörtern ist.
4. Eine fiktive Terminsgebühr von mehr als der Hälfte der Mittelgebühr der Nr. 3106 VV-RVG ist nach § 14 Abs. 1 RVG unbillig, wenn der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit weit unterdurchschnittlich und die Schwierigkeit nicht durchschnittlich sind, auch wenn die übrigen Kriterien sich im Durchschnitt halten.
Tenor
Die von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das erstinstanzliche Verfahren (S 15 SB 147/05) werden endgültig auf 429,20 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07. April 2006 festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist im Erinnerungsverfahren noch die Höhe der von dem Beklagten für das Gerichtsverfahren zu erstattenden außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Im zugrunde liegenden Klageverfahren (S 15 SB 147/05) begehrte die Klägerin die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX), nachdem der Beklagte die dauerhaften Funktionsbeeinträchtigungen zuletzt mit Teilabhilfebescheid vom 26. Mai 2005 mit einem GdB von 30 bewertet hatte. Ihre Prozessbevollmächtigte nahm Akteneinsicht, legte eine ca. 1 1/2-seitige Begründung vor, sandte die der Klägerin überlassenen Vordrucke zurück und überließ dem Gericht einen zusätzlichen Arztbericht. Die 15. Kammer holte diverse Befundberichte ein, welche anschließend der Klägerin und dem Beklagten zur Auswertung und Stellungnahme überlassen wurden. Dieser gab daraufhin ein Anerkenntnis ab, mit dem er sich verpflichtete, den GdB der Klägerin ab Januar 2000 mit 50 zu bewerten. Gleichzeitig erklärte er sich bereit, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen der Klägerin in vollem Umfang zu übernehmen.
Zusammen mit der Annahme des Anerkenntnisses beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 05. April 2006 die Festsetzung ihrer Vergütung wie folgt: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 250,00 €, Terminsgebühr Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG 200,00 €, Auslagenpauschale Nr. 7002 VV-RVG 20,00 € sowie 16 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV-RVG 75,20 EUR, insgesamt 545,20 €.
Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG nur in Höhe von 20,00 € entstanden sei und erstattete dementsprechend einen Betrag in Höhe von 337,59 € (250,00 € Verfahrensgebühr, 20,00 € Terminsgebühr, Auslagenpauschale, Mehrwertsteuer sowie 1,19 € Zinsen).
Mit seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. April 2006 setzte der Urkundsbeamte die zu erstattende Gebühr für das Klageverfahren auf 336,40 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. April 2006 fest. Dabei berücksichtigte er eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV-RVG in Höhe von 170,00 € sowie eine Terminsgebühr in Höhe von 100,00 € nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 27. April 2006 die Entscheidung des Gerichts beantragt. Die Verfahrensgebühr sei nach Nr. 3102 VV-RVG zu vergüten, da eine Vertretung im Vorverfahren nicht erfolgt sei. Ferner sei die Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen. Der vermeintlich geringere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wegen des tatsächlich nicht stattgefundenen Termins dürfe sich nicht nachteilig auswirken.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle half der Erinnerung mit Beschluss vom 31. Mai 2006 hinsichtlich der Verfahrensgebühr ab und legte seiner Berechnung nunmehr hierfür einen Betrag in Höhe von 250,00 € nach Nr. 3102 VV-RVG zugrunde.
Im Übrigen half er der Erinnerung nicht ab und legte sie der Kammer zur Entscheidung vor.
Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass eine Terminsgebühr nur in Höhe der Mindestgebühr gerechtfertigt sei.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Vortrags wird auf die zwischen den Beteiligten geführte Korrespondenz sowie die Prozessakte ergänzend Bezug genommen. Diese Unterlagen lagen vor und waren Gegens...