Entscheidungsstichwort (Thema)

Halbe Mittelgebühr für fiktive Terminsgebühr bei Streit um Schwerbehinderteneigenschaft und Merkzeichen G

 

Orientierungssatz

1. Die fiktive Terminsgebühr nach RVG § 2 Abs 2 S 1 (VV-RVG) Nr. 3106 ist durch eine fiktive Vergleichsbetrachtung zu bestimmen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch entstanden wäre, wenn ein Termin nicht stattgefunden hätte; sie hat sich nicht an der Terminsgebühr zu orientieren.

2. Nr. 3106 VV-RVG eröffnet den Gebührenrahmen in vollem Umfang unter Beachtung der Kriterien des § 14 RVG.

3. Bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziff. 3 VV-RVG für die Erledigung durch ein genommenes Anerkenntnis ist der anwaltliche Aufwand weit unterdurchschnittlich, da lediglich die Annahme des Anerkenntnisses hätte erklärt werden müssen.

4. Der Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens um die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft ist im Verhältnis zu den sonstigen bei den Sozialgerichten zu verhandelnden Rechtsstreitigkeiten dann unterdurchschnittlich, wenn kein ausführliches schriftliches Sachverständigengutachten auszuwerten und zu erörtern ist; dies gilt auch dann, wenn zusätzlich über das Merkzeichen G zu entscheiden ist.

5. Eine fiktive Terminsgebühr von mehr als der Hälfte der Mittelgebühr der Nr. 3106 VV-RVG ist nach § 14 Abs. 1 RVG unbillig, wenn der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit weit unterdurchschnittlich und die Schwierigkeit nicht durchschnittlich sind, auch wenn die übrigen Kriterien sich im Durchschnitt halten.

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Erinnerungen des Klägers und des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10. Oktober 2006 - Az.: S 15 SB 165/04 - werden die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten endgültig auf insgesamt 429,20 € festgesetzt.

Dieser Betrag ist seit dem 30. August 2006 mit jährlich fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger von dem Beklagten im Rahmen des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) zu erstattenden Gebühren im Gerichtsverfahren. Dabei steht (lediglich noch) die Bemessung der fiktiven Terminsgebühr im Streit.

Im zugrunde liegenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg (Az.: S 15 SB 205/05) begehrte der Kläger, bei dem der Beklagte auf den Erstfeststellungsantrag vom 08. Januar 2004 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt hatte, die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft sowie die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Nach Einholung diverser Befundberichte, sonstiger medizinischer Unterlagen sowie eines medizinischen Sachverständigengutachtens gab der Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Juni 2006 ein Anerkenntnis ab, verpflichtete sich, bei dem Kläger einen GdB von 50 ab Januar 2004 sowie ab dem gleichen Zeitpunkt die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ festzustellen und erklärte sich bereit, die Kosten des Rechtsstreits in voller Höhe zu erstatten. Dieses Anerkenntnis nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Juni 2006 an.

Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2006 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Kosten für das erstinstanzliche Klageverfahren in Höhe von 545,20 € geltend gemacht, die sich wie folgt zusammensetzen:

Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG

250,00 €

Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV-RVG

200,00 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG

20,00 €

16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG

75,20 €

Gesamtbetrag

545,20 €

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2006 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Beklagten dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren unter Berücksichtigung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG in Höhe von 250,00 €, einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 100,00 € nebst Auslagenpauschale sowie der auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuer auf insgesamt 429,20 € festgesetzt. Hinsichtlich der Terminsgebühr richte sich deren Höhe nach dem Aufwand, den die Prozessbevollmächtigte in einem fiktiven Termin entfaltet hätte. Dieser Umstand rechtfertige unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens - gerichtet auf die Schaffung eines Anreizes für den Rechtsanwalt, ein Anerkenntnis auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung anzunehmen - eine Erhöhung der Mindestgebühr auf 100,00 €.

Hiergegen hat der Kläger am 16. Oktober 2006 Erinnerung eingelegt. Die Kürzung der Terminsgebühr sei nicht tragfähig, diese sei in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 18. April 2006 (Az.: S 12 SF 12/06). Es sei allgemein anerkannt, dass bei der Bemessung der Höhe der Verfahrensgebühr nach einem Anerkenntnis ...

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