Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensgebühr, fiktive Terminsgebühr und Erledigungsgebühr in Schwerbehindertensache

 

Orientierungssatz

1. Als Verfahrensgebühr nach RVG § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 (Vergütungsverzeichnis - VV-RVG - ) Nr. 3103 iVm § 14 Abs. 1 RVG ist beim Streit um die Schwerbehinderteneigenschaft und das Merkzeichen G die Mittelgebühr trotz unterdurchschnittlichem Umfang und unterdurchschnittlicher Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit anzusetzen im Hinblick auf die wegen der finanziellen Vergünstigungen durch das Merkzeichen G leicht überdurchschnittliche Bedeutung für den Kläger und wenn dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse durchschnittlich sind.

2. Als fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziff 3 VV-RVG ist wegen des weit unterdurchschnittlichem Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit, die darauf beruht, dass in dem hypothetischen Termin lediglich die Annahme des Anerkenntnisses zu erklären gewesen wäre, bei im Übrigen gleicher Sachlage auch bei durchschnittlichem Haftungsrisiko nur die Hälfte der Mittelgebühr angemessen.

3. Die Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 iVm Nr. 1002 VV-RVG, welche die Erledigung durch die anwaltliche Mitwirkung voraussetzt, verlangt eine qualifizierte, auf die Erledigung gerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts, die über die bloße Einlegung und Begründung des Rechtsmittels hinausgeht (Anschluss an BSG).

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 07. April 2006 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23. Oktober 2006 - Az.: S 15 SB 205/05 - werden die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten endgültig auf insgesamt 661,20 € festgesetzt.

Dieser Betrag ist seit dem 20. März 2006 mit jährlich fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger von dem Beklagten im Rahmen des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) zu erstattenden Gebühren im Gerichtsverfahren.

Im zugrunde liegenden Klageverfahren begehrte der Kläger, bei dem zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 bindend festgestellt worden war, mit Neufeststellungsantrag vom 30. April 2004 die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Hierauf stellte der Beklagte den GdB ab dem 05. Mai 2004 mit 30 fest und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 07. Juni 2005 mit Widerspruchsbescheid vom 02. November 2005 als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der vor dem Sozialgericht Lüneburg - Az.: S 15 SB 205/05 - Klage. Nach Einholung diverser Befundberichte und sonstiger medizinischer Unterlagen (insbesondere ein orthopädisches Sachverständigengutachten für die Karlsruher Versicherungs AG vom 26. September 2005 sowie ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Niedersachsen vom 03. Januar 2005) gab der Beklagte mit Schriftsatz vom 03. März 2006 ein Anerkenntnis ab, verpflichtete sich, bei dem Kläger einen GdB von 50 ab Januar 2004 festzustellen und erklärte sich bereit, die Kosten des Rechtsstreits in voller Höhe zu erstatten. Dieses Anerkenntnis nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 16. März 2006 an.

Mit gleichem Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers neben den zwischenzeitlich nicht mehr streitigen Kosten für das Widerspruchsverfahren Kosten für das erstinstanzliche Klageverfahren in Höhe von 904,80 € geltend gemacht, die sich wie folgt zusammensetzen:

Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV-RVG

350,00 €

Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV-RVG

200,00 €

Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005, 1002 VV-RVG

230,00 €

16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG

124,80 €

Gesamtbetrag

904,80 €

Mit Beschluss vom 07. April 2006 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Beklagten dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren unter Berücksichtigung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV-RVG in Höhe von 170,00 €, einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 100,00 € nebst der auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuer auf insgesamt 336,40 € festgesetzt. Für das erstinstanzliche Klageverfahren sei die Verfahrensgebühr der Nr. 3103 VV-RVG zu entnehmen, da eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen sei, das gerichtliche Verfahren gestaltete sich dabei als insgesamt durchschnittlich. Hinsichtlich der Terminsgebühr richte sich deren Höhe nach dem Aufwand, den die Prozessbevollmächtigte in einem fiktiven Termin entfaltet hätte. Dieser Umstand rechtfertige unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens - gerichtet auf die Schaffung eines Anreizes für den Rechtsanwalt, ein Anerkenntnis auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung anzunehmen - eine Erhöhung der Mindestgebühr auf 100,00 €. Schließlich sei auch eine Erledigungsgebühr nicht angefallen, weil besondere anwaltliche Tätigkeiten zur Erledigung des Rechtsstreits n...

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