Entscheidungsstichwort (Thema)
Mittelgebühr der Streit um Schwerbehinderteneigenschaft
Orientierungssatz
1. Die Verfahrensgebühr für ein ab dem 1. Juli 2004 (Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG -) rechtshängig gewordenes sozialgerichtliches Verfahren richtet sich, wenn ein Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, nach dem Rahmen von RVG § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 (Vergütungsverzeichnis - VV-RVG -) Nr. 3103 (VV-RVG) von 20,00 bis 320,00 € auch wenn das Verwaltungsverfahren noch nach den Vorschriften der BRAGO zu vergüten war.
2. Als durchschnittliches Verfahren nach § 14 Abs 1 RVG ist hinsichtlich Schwierigkeit und Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ein Gerichtsverfahren, das die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zum Ziel hat, regelmäßig erst dann anzusehen, wenn auch ein fachärztliches Sachverständigengutachten ausgewertet und diese Auswertung schriftsätzlich dokumentiert wird; dessen Fehlen kann aber durch den Umgang mit einem wegen einer psychiatrischen Erkrankung schwierigen Mandanten ausgeglichen werden.
3. Bei durchschnittlichen Anforderungen der anwaltlichen Tätigkeit und der Einkommensverhältnisse des Klägers sowie unterdurchschnittlicher Bedeutung des Streits um die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft für den Kläger ist als Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV-RVG die Mittelgebühr gerade noch gerechtfertigt.
4. Bei der Bestimmung der hypothetischen Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziff. 3 VV-RVG, die anfällt, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet, ist auf den hypothetischen Aufwand abzustellen, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre.
5. Unter Abwägung der Kriterien, die als Verfahrensgebühr die Mittelgebühr gerechtfertigt haben, erscheint nur eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziff. 3 VV-RVG von einem Viertel der Mittelgebühr angemessen, da die Annahme eines Anerkenntnisses einen weit unterdurchschnittlichen Umfang der zu fingierenden anwaltlichen Tätigkeit bedeuten würde.
Tenor
Auf die Erinnerung des Beklagten vom 01. November 2006 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 23. Oktober 2006 - S 15 SB 141/04 - abgeändert.
Die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Vorverfahrens und des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens werden auf insgesamt 533,60 € festgesetzt.
Im Übrigen werden die Erinnerungen zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger von dem Beklagten im Rahmen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) sowie des Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zu erstattenden Gebühren.
Im zugrunde liegenden Klageverfahren begehrte der Kläger, bei dem zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 bindend festgestellt worden war, die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 03. Dezember 2003 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. April 2004 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 07. Mai 2004 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2004 zurück. Hiergegen erhob er vor dem Sozialgericht Lüneburg - Az.: S 19 SB 141/04 - Klage. Nach Einholung diverser Befundberichte sowie eines Sachverständigengutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gab der Beklagte mit Schriftsatz vom 06. Juni 2006 ein Anerkenntnis ab, verpflichtete sich, bei dem Kläger einen GdB von 50 ab Januar 2003 festzustellen und erklärte sich bereit, die Kosten des Rechtsstreits in voller Höhe zu erstatten. Dieses Anerkenntnis nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Juni 2006 an.
Mit Schriftsatz vom 08. September 2006 hat der Kläger Kosten für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 368,30 € sowie Kosten für das erstinstanzliche Klageverfahren in Höhe von 626,40 € geltend gemacht, die sich wie folgt zusammensetzen:
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Widerspruchsverfahren |
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Gebühr gemäß § 116 Abs. 1 BRAGO |
297,50 € |
Post- und Telekommunikationsentgelte |
20,00 € |
16 % Mehrwertsteuer gemäß § 25 Abs. 2 BRAGO |
50,80 € |
Summe |
368,30 € |
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Klageverfahren |
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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG |
300,00 € |
Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 I Nr. 3 VV-RVG |
220,00 € |
Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV |
20,00 € |
16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7007 VV |
86,40 € |
Summe |
626,40 € |
Mit Beschluss vom 23. Oktober 2006 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Beklagten dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten unter Berücksichtigung einer Verfahrensgebühr für das Vorverfahren gemäß § 116 Abs. 1 BRAGO in Höhe von 200,00 €, einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV-RVG für das Gerichtsverfahren in Höhe von 250,00 €, einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 80,00 € und der jeweiligen Auslagenpauschale nebst der auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuer festgesetzt. Entgegen der Ansicht des den Kläger vertretenden Rechtsanwalts sei im Vorverfahre...