Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Nichtausreise trotz Feststehens von Ausreisetermin und Ausreisemöglichkeit. Europarechtskonformität. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Leistungskürzung gem § 1a Abs 2 AsylbLG bei feststehendem Ausreisetermin und Ausreisemöglichkeit.
Orientierungssatz
Gegen die Vorschrift des § 1a Abs 2 AsylbLG bestehen weder europarechtliche noch verfassungsrechtliche Bedenken.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Verpflichtung zur Entrichtung von Raten unter Beiordnung von Rechtsanwalt D. bewilligt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz über die Rechtmäßigkeit einer Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am 12.06.1992 geborene Antragsteller ist liberianischer Staatsangehöriger. Seit der Zuweisung in die Gemeinde Winsen (Aller) am 23.03.2017 lebt er dort in einer Obdachlosenunterkunft und bezieht Leistungen nach dem AsylbLG, die ihm aufgrund eines Bescheides vom 28.03.2017 von der im Auftrag des Antragsgegners handelnden Gemeinde Winsen (Aller) gewährt werden. Ausweislich einer dem Bescheid vom 28.03.2017 anliegenden Leistungsberechnung beliefen sich die Leistungen ab April 2017 auf monatlich 490,72 Euro (laufender Bedarf: 135,00 Euro und weitere 219,00 Euro sowie Kosten der Unterkunft 136,72 Euro).
Nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens sollte am 17.10.2017 aufgrund vollziehbarer Abschiebungsanordnung eine Überstellung nach Italien durchgeführt werden. Hierzu wurde der Antragsteller von Beamten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in seiner Unterkunft abgeholt und zum Flughafen Düsseldorf gefahren. Als er sich dort weigerte, das bereitstehende Flugzeug zu betreten, wurde die Abschiebungsmaßnahme abgebrochen und der Antragsteller mit dem Hinweis entlassen, sich wieder in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde des Antragsgegners zu begeben.
Mit Bescheid vom 01.11.2017 hob der Antragsgegner seine Bewilligung vom 28.03.2017 mit Wirkung zum 01.11.2017 auf und bewilligte ab 01.11.2017 nur noch eingeschränkte Leistungen in Höhe von 310,83 Euro monatlich (Kosten der Unterkunft und Heizkosten: 136,72 Euro, laufende Leistungen 174,11 Euro). Zur Begründung wird ausgeführt, es seien nur noch Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege zu gewähren, da aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die der Antragsteller selbst zu vertreten habe, nicht hätten vollzogen werden können. Durch seine Weigerung, das Flugzeug zu betreten, habe die aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht durchgeführt werden können. Mit Bescheid der Gemeinde Winsen (Aller) vom 16.11.2017 wurde die Anspruchseinschränkung bis zum 30.04.2018 befristet.
Mit am 08.11.2017 eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Lüneburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von ungekürzten Leistungen nach dem AsylbLG zu verpflichten. Nach seiner Auffassung ist die Leistungseinschränkung schon deswegen rechtswidrig, da sie ohne zeitliche Befristung auf Dauer vorgenommen wurde. Zudem setze die Leistungseinschränkung voraus, dass der Sachverhalt im konkreten Einzelfall ermittelt werde; dies sei vorliegend nicht erfolgt. Im Übrigen habe er sich der Ausreise nicht entzogen, sondern den Beamten am Flughafen Düsseldorf erklärt, dass die Lebensbedingungen in Italien menschenrechtlich inakzeptabel seien und eine Rückreise dorthin ihm nicht zugemutet werden könne. Es sei zu befürchten, dass ihm dort Mittellosigkeit und Obdachlosigkeit droht. Mit den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln sei er nicht in der Lage, sein Existenzminimum sicherzustellen.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt dessen Ablehnung. Die persönlichen Bedenken des Antragstellers könnten nicht geteilt werden. Italien sei der Europäischen Union zugehörig und nach der Dublin-III-Verordnung für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig. Das Existenzminimum sei durch die Leistungsgewährung sichergestellt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2018 hat der Antragsgegner einen gegen den Bescheid vom 01.11.2017 eingelegten Widerspruch zurückgewiesen; dagegen hat der Antragsteller am 11.03.2018 vor dem SG Klage erhoben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte (Leistungsakte) des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. ...