Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwaltsvergütung: Bemessung der Vergütung bei einer Untätigkeitsklage im sozialgerichtlichen Verfahren über Ansprüche aus Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zuerkennung einer fiktiven Terminsgebühr bei Erledigung der Streitsache nach Erfüllung der Klageforderung durch den Sozialleistungsträger
Orientierungssatz
1. In einem sozialgerichtlichen Verfahren wegen Untätigkeit des Sozialleistungsträgers (hier: Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende), in dem schwierige Rechtsfragen nicht zu erörtern sind und sich der anwaltliche Aufwand auf eine knappe Klageschrift beschränkte (hier: dreiseitige Klageschrift), kommt für die anwaltliche Vergütung nur eine Gebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr in Betracht.
2. Wird in einem sozialgerichtlichen Verfahren die mit der Klage verfolgte Forderung durch die Behörde ohne Einschränkung angenommen und umgesetzt (hier: Erlass eines Widerspruchsbescheides als Ziel einer Untätigkeitsklage), so dass sich damit der Rechtsstreit vor der mündlichen Verhandlung erledigt, hat der Prozessbevollmächtigte Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziffer 3 VV-RVG, auch wenn ein Anerkenntnis nicht ausdrücklich erklärt und angenommen wurde.
3. Einzelfall zur Bemessung der anwaltlichen Vergütung in einem sozialgerichtlichen Verfahren wegen Untätigkeit einer Behörde (hier: halbe Mittelgebühr als angemessene Vergütung festgestellt).
4. Einzelfall zur Bemessung einer fiktiven Terminsgebühr (hier: ein Viertel der Mittelgebühr als angemessene Vergütung festgestellt).
Tenor
Die Erinnerung der Erinnerungsführerin, Kostenschuldnerin und Beklagten vom 06. Mai 2009 gegen den Kostenansatz der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 22. April 2009 - S 29 AS 219/08 - wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.
Gründe
Die Erinnerungsführerin, Kostenschuldnerin und Beklagte (im Folgenden nur: Kostenschuldnerin) wendet sich gegen den Ansatz der Höhe der Verfahrensgebühr sowie gegen den Ansatz der Terminsgebühr im Rahmen des Kostenansatzes der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle anlässlich der den Klägern für das vorangegangene Klageverfahren - S 29 AS 219/08 - gewährten Prozesskostenhilfe (PKH). In diesem Verfahren stritten die Beteiligten um die Untätigkeit der Kostenschuldnerin im Rahmen der Leistungsgewährung nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Das Verfahren erledigte sich durch den Erlass des begehrten Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2008. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärte in seinem Schriftsatz vom 26. August 2008, das Anerkenntnis der Kostenschuldnerin zur Erledigung des Rechtsstreits anzunehmen.
Die Erinnerung, über die gemäß § 59 Abs. 2 S. 4 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG) i. V. m. § 66 Abs. 6 S. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) das Gericht entscheidet, bei dem die Kosten angesetzt sind, ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Kostenbeamtin hat ihrem Kostenansatz zu Recht eine Verfahrensgebühr in Höhe eines Betrages von 275,00 € (dazu unter 1.) sowie eine Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 40,00 € (dazu unter 2.) zugrunde gelegt.
Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Zwar gilt Satz 4 der Vorschrift nicht, wenn es sich um ein Verfahren handelt, in dem um die Höhe des Prozesskostenhilfevergütungsanspruches gestritten wird, weil die Staatskasse nicht Dritter, sondern Vergütungsschuldner ist. Dennoch findet zu ihren Gunsten eine Billigkeitskontrolle statt (Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, RVG, § 55, Rdn. 29). Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, - L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt...