Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Dokumentenpauschale. Erstattung von Kopierkosten trotz fortschreitender Verbreitung elektronischer Dokumente
Orientierungssatz
Allein der Umstand, dass sich der Gesetzgeber trotz der fortschreitenden Verbreitung elektronischer Dokumente nicht zur Aufhebung der Regelung von Nr 7000 Nr 1 RVG-VV entschlossen und die Anwaltschaft nicht zur ausschließlichen Nutzung elektronischer Anwaltsakten verpflichtet hat, belegt, dass es Rechtsanwälten - jedenfalls im zu einer sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache gebotenem Umfang - unverändert gestattet ist, Fotokopien und Ausdrucke der für bedeutsam gehaltenen Unterlagen aus den Beklagtenakten anzufertigen.
Tenor
1. Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers vom 16.12.2022 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 13.12.2022 - S 6 SB 52/21 - werden die vom Erinnerungsgegner an den Erinnerungsführer zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 939,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.11.2022 festgesetzt.
2. Der Erinnerungsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsführers für das Erinnerungsverfahren. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Höhe der außergerichtlichen Kosten, welche der Erinnerungsgegner dem Erinnerungsführer in einem Verfahren des Schwerbehindertenrechts (Az.: S 6 SB 52/21) zu erstatten hat, wobei ausschließlich die Pflicht zur Erstattung von Kopierkosten noch im Streit steht.
Das Ausgangsverfahren wurde vom dortigen Kläger (und hiesigen Erinnerungsführer) mit Schriftsatz vom 5.11.2021 für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte (und hiesige Erinnerungsgegner) dessen Grad der Behinderung (GdB) mit Anerkenntnis vom 21.10.201 mit 50 neu festgestellt und sich zudem verpflichtet hatte, die notwendigen außergerichtlichen Kosten in voller Höhe zu erstatten.
Mit Beschluss vom 13.12.2022 setzte die Urkundsbeamtin die dem Kläger zu erstattenden Kosten mit 904,40 Euro fest, wobei sie der Entscheidung folgende Berechnung zugrunde legte:
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Widerspruchsverfahren |
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Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV RVG |
300,00 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
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Verfahren vor dem Sozialgericht |
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Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG |
300,00 EUR |
Abzgl. ½ der Geschäftsgebühr gem. Vormerkung 3 VV RVG |
- 150,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG |
270,00 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
144,40 EUR |
Entgegen dem Kostenfestsetzungsantrag des Erinnerungsführers vom 4.11.2022 wurden die dort abgerechneten Schreibgebühren in Höhe von 29,80 Euro für 82 Kopien nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG mit der Begründung nicht anerkannt, dass die Verwaltungsakte des Beklagten dem Bevollmächtigten des Klägers als elektronisches Dokument zum Verbleib zur Verfügung gestellt worden sei.
Hiergegen wendet sich der Erinnerungsführer mit seinem Rechtsbehelf vom 16.12.2022, mit dem er darauf hinwies, dass eine Verpflichtung zur Nutzung einer elektronischen Anwaltsakte nicht bestehe und das Gericht ihn nicht aufgefordert habe, die erstellten Kopien zur Glaubhaftmachung zur Akte zu reichen.
II. Die Erinnerung ist zulässig und begründet. Dem Erinnerungsführer steht ein Anspruch auf Erstattung der abgerechneten Schreibauslagen für die Anfertigung von Fotokopien zu.
Auch in der zum 1.1.2021 in Kraft getretenen Neufassung sieht das Vergütungsverzeichnis (VV) des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) unter Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG weiterhin einen Anspruch auf eine Pauschale für die Herstellung von Kopien und Ausdrucken vor, welche für die ersten 50 Seiten 0,50 Euro sowie für jede weitere Seite 0,15 Euro beträgt.
Allein der Umstand, dass sich der Gesetzgeber trotz der fortschreitenden Verbreitung elektronischer Dokumente nicht zur Aufhebung dieser Regelung entschlossen und die Anwaltschaft nicht zur ausschließlichen Nutzung elektronischer Anwaltsakten verpflichtet hat, belegt, dass es den Rechtsanwälten - jedenfalls im zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache gebotenem Umfang - unverändert gestattet ist, Fotokopien und Ausdrucke der für bedeutsam gehaltenen Unterlagen aus den Beklagtenakten anzufertigen.
Zudem ermöglicht es die Verfügbarkeit von Papierakten, wie gerichtsbekannt ist, wesentlich schneller, die entscheidungserheblichen Dokumente aufzufinden als das „Durchklicken“ durch eine Vielzahl an elektronischen Dateien, welche von etlichen Behörden nicht einmal durch die Voranstellung eines lesbaren Inhaltsverzeichnisses nutzerfreundlich aufbereitet werden.
Darüber hinaus steht eine aus Papier bestehende Anwaltsakte für den Rechtsanwalt zu jeder Zeit und an jedem Ort in lesbarer Form zur Verfügung, ohne dass Strom- oder Internetanschlüsse verfügbar sein müssen, wie z.B. bei Zugfahrten zu auswärtigen Gerichtsterminen, die auf diese Weise sinnvoll zur Auffrischung des Sach- und Streit...