Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme der Kosten einer ambulanten Pflege anstelle einer Unterbringung in einem Pflegeheim

 

Orientierungssatz

1. Der Vorrang der ambulanten Pflege für den Hilfebedürftigen nach dem SGB 12 gilt nicht, wenn eine Leistung in einer geeigneten stationären Einrichtung zumutbar ist und ambulante Leistungen mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wären.

2. Eine Heimunterbringung gilt u. a. dann nicht als unzumutbar, wenn rechtzeitige Notfallhilfe sichergestellt ist und das Grundbedürfnis des Betroffenen nach Kontakt und Kommunikation nicht unzumutbar eingeschränkt wird.

3. Bei der Feststellung, ob unverhältnismäßige Mehrkosten vorliegen, ist in einem Kostenvergleich auf diejenigen Mehrkosten abzustellen, welche dem örtlichen Sozialhilfeträger entstehen. Übersteigen die Mehrkosten bei ambulanter Pflege diejenigen der stationären Unterbringung um mehr als 200 %, so ist die Unverhältnismäßigkeit evident.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger erstrebt vom Beklagten die Übernahme der Kosten einer ambulanten Pflege anstatt einer stationären Unterbringung in einem Pflegeheim.

Der 1955 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an einer Spastik. Er erlangte die mittlere Reife und erlernte den Beruf des Bürokaufmanns, ehe er als Verwaltungsangestellter der Stadt H. arbeitete. Bei einem Unfall im Jahre 1994 brach er sich den obersten Halswirbel, was erst später erkannt wurde. Eine Operation zur Stabilisierung schlug fehl. Der Grad der Pflegebedürftigkeit des Klägers entspricht der Pflegestufe III.

Der hoch querschnittsgelähmte Kläger, der sich nunmehr im elektrischen Rollstuhl fortbewegt, entschied sich nach den Klinikaufenthalten und einem Aufenthalt im Alten - und Pflegeheim I., in das J. zu ziehen. Dabei handelt es sich um ein Heim, in dem Pflegebedürftige mit einer schweren Körperbehinderung im Sinne der Eingliederungshilfe ab dem 18. Lebensjahr untergebracht werden. Die monatlichen Kosten der Unterbringung belaufen sich auf 5.424,98 Euro zuzüglich einmaliger Leistungen.

Im Lauf der Zeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Klägers, weil der Schmerzsymptomatik nicht adäquat entgegen gewirkt werden konnte.

Der Kläger beantragte am 22. März 2005 die Kostenübernahme für eine häusliche Pflege rund um die Uhr in einer eigenen Wohnung durch die K. (Bl. 240 der Verwaltungsakte). Diesen begründete er im Wesentlichen wie folgt:

Er habe den Wunsch, ein Leben in Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu führen. Er benötige eine “Persönliche Assistenz„. Sein Hilfebedarf verändere sich von Tag zu Tag, so dass der ständige Wechsel an Pflegepersonal im Heim seinem Bedarf nicht gerecht werde. Ihm sei wichtig, dass er sein Pflegepersonal kenne und darüber mitbestimmen könne.

Daraufhin veranlasste der Beklagte eine Begutachtung des Klägers durch die L. für Körperbehinderte Dr. M., welche in einem Schreiben vom 17. Juni 2005 feststellte, dass aus sozialmedizinischer Sicht nichts gegen den Einzug in eine eigene Wohnung spreche.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05. Juli 2005 (Bl. 3 bis 4 der Verwaltungsakte) ab und begründete dies wie folgt:

Der Vorrang ambulanter vor stationären Maßnahmen gelte nicht, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar ist und die ambulante Leistung unverhältnismäßige Mehrkosten verursache. Dies sei hier der Fall, weil die ambulante Versorgung 15.866,20 Euro pro Monat koste und um 260 Prozent höher sei als die Kosten der stationären Unterbringung. Ferner sei die stationäre Unterbringung zumutbar, weil auf die Bewohnerstruktur, Wünsche des Klägers bei Einzug und familiäre sowie örtliche Umstände Rücksicht genommen worden sei. Zur Teilhabe werde dem Kläger auch eine Taxenpauschale von 50,-- Euro gewährt.

Dagegen legte der Kläger am 23. August 2005 Widerspruch ein (Bl. 7 bis 8 der Verwaltungsakte) und begründete diesen wie folgt:

Eine stationäre Unterbringung sei für ihn unzumutbar. Im Heim werde sein Leben und sein Tagesablauf fremd bestimmt. Zudem herrsche Personalmangel, der sich auch auf die Lebensqualität auswirke. Es habe sich mittlerweile die Bewohnerstruktur verändert, so dass Pflegeleistungen anstelle von Eingliederungshilfe im Vordergrund stünden.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2005 zurück (Bl. 12 bis 17 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:

Eine stationäre Unterbringung wäre nur dann unzumutbar, wenn die Einrichtung ungeeignet ist oder wegen Qualitätsmängeln eine menschenwürdige Unterbringung nicht gesichert sei. Auch der Vortrag des Klägers, nach welchem er nach 10 Jahren nicht mehr in einem Heim leben wolle, reiche zur Bejahung des Tatbestandsmerkmales der Unzumutbarkeit nicht aus. Zudem habe er zu keinem Zeitpunkt Beanstandungen gegenüber dem Heimträger vorgebracht. Örtliche oder familiäre Umstände für die Unzumutbarkeit seien nicht erkennbar. Auch die Landesärztin habe sich nicht gege...

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