Steuerermäßigung nach § 35a EStG bei ambulanten Pflege- und Betreuungsleistungen
Hintergrund: Aufwendungen für die ambulante Pflege der Mutter
Streitig war für 2016 die Abziehbarkeit von Aufwendungen der T (Tochter) für die ambulante Pflege ihrer in einem eigenen Haushalt lebenden Mutter (M).
T vereinbarte in 2015 mit der Sozialstation die Erbringung von Pflegeleistungen für M. In dem von T unterzeichneten Vertrag ist M als Leistungsnehmerin aufgeführt. In den Rechnungen der Sozialstation ist sie als Rechnungsempfängerin ausgewiesen. Die Rechnungen (Gesamtbetrag rund 1.000 EUR) wurden an T gesandt und von ihr durch Banküberweisung beglichen.
Das FA lehnte die Berücksichtigung bei T ab, da die Rechnungen sich nicht an sie, die T, richteten, sondern an die M. Nach § 35a Abs. 5 Satz 3 EStG müsse der Steuerpflichtige selbst (T) eine Rechnung erhalten haben.
Auch das FG versagte den Abzug. Aufwendungen für die ambulante Pflege und Betreuung von nicht im Haushalt des Steuerpflichtigen, sondern in ihrem eigenen Haushalt lebenden Familienangehörigen seien im Rahmen von § 35a EStG nicht zu berücksichtigen. Andernfalls bestehe ein Wertungswiderspruch zu Aufwendungen für die Pflege in einem Heim (stationäre Pflege), die nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 EStG nur für die eigenen Aufwendungen begünstigt seien.
Entscheidung: Begünstigung der ambulanten Pflege eines Dritten
Aufwendungen für die ambulante Pflege-/Betreuung eines Dritten sind nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG begünstigt. Eine Rechnung und die Zahlung durch Überweisung sind nicht erforderlich
Pflege- und Betreuungsleistungen
Begünstigte Leistungen i.S. von § 35a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG sind personen- wie haushaltsbezogene Dienstleistungen, die zu den im Leistungskatalog der Pflegeversicherung aufgeführten Pflege- und Betreuungsleistungen zählen. Dazu gehören neben sog. Grundpflegemaßnahmen (unmittelbaren Pflege am Menschen) auch Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung (Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung).
Haushalt der gepflegten Person
Anders als die Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG, die nach § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG nur für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen im eigenen Haushalt beansprucht werden kann, ist die Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme von ambulanten Pflege- und Betreuungsleistungen nach § 35a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG auch dann zu gewähren, wenn die Pflege- und Betreuungsleistungen nicht im eigenen Haushalt, sondern im Haushalt der gepflegten oder betreuten Person ausgeübt oder erbracht werden (§ 35a Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG). Dahingehende Aufwendungen können daher auch von Steuerpflichtigen (z.B. Angehörigen) geltend gemacht werden, die diese Aufwendungen getragen haben (BMF v. 9.11.2016, BStBl I 2016, S. 1213 Tz 13).
Keine Beschränkung auf haushaltshilfeähnliche Tätigkeiten
Die Steuerermäßigung für ambulante Pflege- und Betreuungsleistungen i.S. von § 35a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG ist auch nicht auf die Kosten für Dienstleistungen beschränkt, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind. Die dahingehende Beschränkung in § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG bezieht sich nach Wortlaut ("soweit") lediglich auf Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege erwachsen.
Rechnung und Überweisung sind nicht erforderlich
Die Steuerermäßigung für Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Aufwendungen wegen Heimunterbringung oder zur dauernden Pflege setzt weder den Erhalt einer Rechnung noch die Zahlung über ein Konto voraus. Diese Voraussetzungen betreffen nach § 35a Abs. 5 Satz 3 EStG lediglich die "Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen nach Absatz 2 oder für Handwerkerleistungen nach Absatz 3". Die Regelung erstreckt sich daher nicht auf Pflege- und Betreuungsleistungen. Darin liegt kein gesetzgeberisches Versehen. Das Gesetz unterscheidet in § 35a Abs. 2 EStG zwischen "haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen nach Absatz 3", d.h. Handwerkerleistungen, sind (§ 35a Abs. 2 Satz 1 EStG) und "Pflege- und Betreuungsleistungen" sowie "Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege erwachsen" (§ 35a Abs. 2 Satz 2 EStG). Hätte der Gesetzgeber die formalisierten Voraussetzungen des § 35a Abs. 5 Satz 3 EStG auch auf die Pflege- und Betreuungsleistungen erstrecken wollen, hätte eine allgemeine Bezugnahme auf die Steuerermäßigungen nach dem Abs. 2 nahegelegen, wie sie § 35a Abs. 5 Sätze 1, 2 und 4 EStG enthalten.
Begünstigung eigenen Aufwands
Nach § 35a EStG sind nur eigene Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die dessen persönliche Leistungsfähigkeit mindern, begünstigt. Zwar hat T die von der Sozialstation zugunsten der M erbrachten und dieser in Rechnung gestellten Leistungen beglichen. Es ist jedoch ungeklärt, ob die T damit eigene Aufwendungen (nur für diese könnte die Steuerermäßigung gewährt werden) oder Aufwand der M und damit insoweit steuerunerheblichen Drittaufwand getragen hat. Es ist nicht erkennbar, ob die T die Zahlungen auf ihre eigene oder die Schuld der M geleistet hat. Denn ausweislich des Pflegevertrags sind sowohl die T als auch die M als Leistungsnehmerinnen bezeichnet.
Zurückverweisung an das FG
Der BFH verwies die Sache an das FG zurück. Dieses hat zu prüfen, ob T den Pflege- und Betreuungsvertrag im eigenen Namen (zugunsten der M) abgeschlossen hat oder ob sie lediglich die M vertreten hat.
Hinweis: Unterschied zwischen stationärer und ambulanter Pflege
Bei stationärer Pflege (Heimunterbringung) kann nur derjenige die Steuerermäßigung in Anspruch nehmen, dem die Aufwendungen wegen seiner eigenen Heimunterbringung entstanden sind. Denn Steuerpflichtiger i.S.v. § 35a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 EStG ist nach dem Gesetzeswortlauts die stationär untergebrachte oder gepflegte Person, also der Leistungsempfänger. Derjenige, der für die stationäre Unterbringung/Pflege anderer Personen aufkommt, kann für diese Aufwendungen die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 EStG daher nicht beanspruchen. Im Gegensatz dazu steht bei ambulanten Pflege die Steuerermäßigung auch dann zu, wenn die Betreuung nicht im eigenen Haushalt, sondern im Haushalt der gepflegten Person geleistet wird (§ 35a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG). Diese Unterscheidung zwischen Aufwendungen für die häusliche (ambulante) sowie die stationäre Betreuung und Pflege ist nicht widersprüchlich. Denn sie berücksichtigt, dass Steuerpflichtige bei der Betreuung von Angehörigen im häuslichen Umfeld stärker gefordert sind als bei einer Heimunterbringung.
BFH Urteil vom 12.04.2022 - VI R 2/20 (veröffentlicht am 14.07.2022)
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