Entscheidungsstichwort (Thema)
Behindertenrecht. Eingliederungshilfe. spezieller Sport-Rollstuhl zum Skaten. Unangemessenheit. Leistung zur Sozialen Teilhabe. sozialer Kontext. Hilfsmittel zur alleinigen Sportausübung in einer Individual-Sportart. fehlender Gemeinschaftsbezug. Widerspruch zwischen sportlichen Wünschen und gesundheitlichen Einschränkungen. Durchhaltevermögen von nur wenigen Minuten. keine zu erwartende Inklusion eines behinderten Menschen im fortgeschrittenen Alter in einer jugendtypischen Sportszene. Anspruch auf höheres Persönliches Budget. anspruchsbegrenzende Wirkung einer bestehenden Zielvereinbarung. materielle Bindung. gesetzliche Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. mittelbarer Behinderungsausgleich. Beschränkung auf Basisausgleich im Alltagsleben
Orientierungssatz
1. Mit Hilfsmitteln zu einer Sportart, die fast ausschließlich von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ausgeübt wird (hier: Rollstuhlskatesport), kann eine anhaltende Inklusion eines behinderten Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter (hier: 51 Jahre) in die für ihn erreichbaren gesellschaftlichen Gruppen nicht erwartet werden.
2. Die krankenversicherungsrechtliche Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB 5 umfasst zwar auch den sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleich. Dieser zielt aber nur auf einen Basisausgleich im Alltagsleben ab und lässt - zumindest bei erwachsenen Versicherten - weitergehende Bedürfnisse, insbesondere sportlicher oder gesellschaftlicher Art, außer Betracht.
Leitsatz (amtlich)
Ein spezieller Sportrollstuhl, der aufgrund des Gesundheitszustandes nur unregelmäßig und zu nicht planbaren Zeiten jeweils nur für wenige Minuten ohne Einbindung in eine Vereinsstruktur oder in eine sonstige Trainingsgruppe genutzt werden kann bzw soll, gehört nicht zu den Leistungen der Sozialen Teilhabe.
Nach Abschluss einer Zielvereinbarung bezüglich einer Assistenzleistung im Rahmen der Sozialen Teilhabe besteht kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf weitergehende Assistenzleistungen in der Form eines Persönlichen Budgets. Denn die Zielvereinbarung hat seit dem 1.1.2018 eine den Anspruch begrenzende materielle Bedeutung. Dem steht das Urteil des BSG vom 28.1.2021 ( B 8 SO 9/19 R = BSGE 131, 246 = SozR 4-3500 § 57 Nr 1) nicht entgegen. Denn die Aussage, dass der Abschluss der Zielvereinbarung für das Persönliche Budget nur eine formelle Bedeutung habe, betrifft den Rechtszustand bis zum 31.12.2017, in dem sich die Notwendigkeit der Zielvereinbarung noch aus der Budgetverordnung (juris: BudgetV) ergab. Seit dem 1.1.2018 ist die Zielvereinbarung aber in § 29 Abs 4 SGB 9 verankert.
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen (Eingliederungshilferecht nach Teil 2 des Sozial-gesetzbuchs IX - SGB IX) um einen Anspruch auf Versorgung mit einem speziellen Sportrollstuhl (B.) und um ein höheres Persönliches-Budget (C.).
Der am ... geborene - somit heute 51jährige - Kläger leidet nach einer viralen Infektion (2014) zunehmend an den Folgen einer Myalgischen-Encephalomyelitis bzw. eines chronischen Fatigue-Syndroms (ME/CFS). Sein Behinderungsgrad nach Teil 1 des SGB IX (GdB) beträgt 100. Zudem verfügt der Kläger über die Merkzeichen bzw. Nachteilsausgleiche B, G, aG und H (Bescheid des zuständigen Versorgungsamts vom 17.1.2023) und bezieht Leistungen zur ambulanten häuslichen Pflege) (Pflegegeld der Gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch XI - SGB XI zunächst in Pflegegrad 2, ab dem Monat Juni 2022 in Pflegegrad 3). Seinen Lebensunterhalt sichert der Kläger durch den Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. von Bürgergeld nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II).
B.
Am 29.9.2021 beantragte der Kläger bei seiner Krankenkasse (...) die Versorgung mit einem speziellen „Sport-Rolli“ (Ärztliche Verordnung der Gemeinschaftspraxis Dres. ..., Heidelberg vom 24.8.2021 mit Kostenvoranschlag über einen Betrag von 13.642,50 €). Diesen Antrag leitete die BARMER mit Schreiben vom 6.10.2021 gemäߧ 14 SGB IX an die Beklagte weiter (Eingang dort am 11.10.2021). Hierzu teilte der Kläger mit, er wolle diesen Rollstuhl für Skate-Sport (WCMX) nutzen.
MitBescheid vom 4.7.2022 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für diesen Sportrollstuhl ab. Denn nach allen in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlagen scheide ein Anspruch hierauf aus: Die krankenversicherungsrechtliche Hilfsmittelversorgung (§ 33 Sozialgesetzbuch V - SGB V ) ziele im Bereich der Mobilität (sogenannter „mittelbarer Behinderungsausgleich“) nur auf einen „Basisausgleich“ ab. Dieser werde durch den bereits vorhandenen „Aktivrollstuhl“ gesichert. Der vom Kläger für das Betreiben von Skate-Sport gewünschte Rollstuhl gehe darüber hinaus und diene somit der Durchführung von Freizeitaktivitäten. Dies liege außerhalb der Zuständigkeit der Krankenkasse. Im Rahmen der Eingliede...